SWR2 Wissen: Spezial | Das Tier und Wir (9/10)

Mammutaufgabe Artenschutz

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Lena Puttfarcken
Lena Puttfarcken (Foto: Lena Puttfarcken / privat)
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Justina Bretzel
Candy Sauer

Klimawandel, Umweltverschmutzung und extensive Landwirtschaft zerstören unsere Ökosysteme. Nicht ohne Folgen: Die Zahl bedrohter Tier- und Pflanzenarten nimmt rapide zu – sogar von einem Massenaussterben ist die Rede. Der Weltbiodiversitätsrat fordert Staaten zu mehr Artenschutz auf. Doch der beginnt im Kleinen: Wer Garten oder Balkon insektenfreundlich gestaltet, trägt bereits zur Biodiversität bei.

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Jede 8. Tier- und Pflanzenart bedroht: Steht ein Massenaussterben bevor?

Verkehrslärm statt Vogelgezwitscher, Monokulturen statt Wildblumenwiesen – immer deutlicher zeichnet sich ab: unsere Ökosysteme sind in Gefahr. Auch der Weltbiodiversitätsrat schlägt Alarm: Ungefähr acht Millionen Tier- und Pflanzenarten gibt es auf der Welt. Davon sind etwa eine Million vom Aussterben bedroht, darunter eine halbe Million Insektenarten.

Das ist eine höchst beunruhigende Entwicklung. So betont es die Biologin Katrin Böhning-Gaese. Die Leiterin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt am Main beschreibt das weltweite Ökosystem wie ein Netz. Und das wird zunehmend löchrig:

"Wenn wir Arten verlieren, nehmen wir Maschen aus dem Netz raus. Das kann oft keine Rolle spielen; da kann es andere Arten geben, die das tragen. Aber es kann dann einfach der Punkt kommen, wo das Netz uns nicht mehr trägt. Wir wissen als Biodiversitätsforscher*innen nicht genau, wie viele Arten, wie viel Vielfalt wir für was brauchen. Wir wissen nur, dass eine hohe Artenvielfalt uns stabilere Ökosysteme gibt."

Die Bäume müssen weichen: Geht es um menschliche Interessen, zieht die Natur meist den Kürzeren. So wie am Wurmberg im Oberharz. Um eine neue Skianlage zu errichten, werden mehrere Hektar Fichtenwald abgeholzt – eine Katastrophe für unzählige Tier- und Pflanzenarten. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Siegfried Richter)
Die Bäume müssen weichen: Geht es um menschliche Interessen, zieht die Natur meist den Kürzeren. So wie am Wurmberg im Oberharz. Um eine neue Skianlage zu errichten, werden mehrere Hektar Fichtenwald abgeholzt – eine Katastrophe für unzählige Tier- und Pflanzenarten.

Inzwischen sind sich die Forscherteams weltweit einig: Das gegenwärtige Artensterben ist deutlich stärker als das Hintergrundaussterben, das immer wieder und ständig stattfindet. Katrin Böhning-Gaese spricht sogar von einem neuen Massenaussterben:

"Beim letzten Massenaussterben sind die Dinosaurier ausgestorben. Das heißt, wir sind am Beginn eines schon wirklich fundamentalen Problems."

Umweltverschmutzung, Landwirtschaft, invasive Arten – sensible Ökosysteme in Gefahr

Wie auch beim Klimawandel ist inzwischen klar: Die Hauptschuld für das Artensterben trägt der Mensch. Der Weltbiodiversitätsrat nennt in einem Bericht von 2019 mehrere Ursachen:

  • Klimawandel
  • Umweltverschmutzung
  • industrielle Landwirtschaft
  • Abholzen von Wäldern
  • Überfischung der Meere
  • Ausbreitung invasiver Arten

Dabei sind wir von einer gesunden Umwelt abhängig: Saubere Luft, frisches Wasser und Erde, in der Pflanzen gedeihen können. Eine intakte Natur reduziert die Auswirkungen von Naturkatastrophen und schützt vor Pandemien.

Landwirtschaft und Artenschutz vereinen – Mehrkosten, die sich auszahlen

Höchste Zeit, gegen die Zerstörung der Biodiversität vorzugehen. Wie aber lässt sich so eine Mammutaufgabe lösen? Mit einzelnen Biotopen und Naturschutzgebieten ist es leider nicht getan, so das Max-Planck-Institut für multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen. Zwar tragen Schutzflächen zur Artenvielfalt bei, für die großen Themen der Biodiversität müssen wir aber deutlich mehr tun.

Ein bunter Streifen zwischen Acker und Asphalt: Wildblumenwiesen bieten Nahrung für viele Insektenarten. Auf diese Weise lassen sich Landwirtschaft und Umweltschutz vereinen – das kostet allerdings Zeit und Geld. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Markus Scholz)
Ein bunter Streifen zwischen Acker und Asphalt: Wildblumenwiesen bieten Nahrung für viele Insektenarten. Auf diese Weise lassen sich Landwirtschaft und Umweltschutz vereinen – das kostet allerdings Zeit und Geld.

Kunstdünger, Pestizide, Monokulturen – intensive Agrarwirtschaft gefährdet Ökosysteme in besonderem Maße. Aber Landwirte zu Gegnern erklären, das helfe niemandem, sagt Josef Settele, Leiter der Abteilung Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Schließlich setzen sich bereits viele Landwirte für Artenschutz ein, sähen Blühmischungen und lassen Wildflächen stehen. Das ist zeit-, vor allem aber sehr kostenintensiv. Josef Settele fordert darum mehr staatliche finanzielle Unterstützung.

Außerdem brauche es ein Umdenken: Nicht die nachhaltigen Produkte sollten teuer sein, sondern die konventionell erzeugten Produkte – Nachhaltigkeit dürfe kein Luxusprodukt sein.

Internationaler Biodiversitätsrat steckt ehrgeizige Ziele

Im Dezember 2022 hat die Weltgemeinschaft im kanadischen Montreal ein neues Rahmenabkommen für die Biodiversität beschlossen. Sein großes
Ziel: 30 Prozent aller Ozeane und Landflächen sollen wirksam unter Schutz gestellt werden. Eine 2022 erschienene Studie warnt allerdings davor, dass das an Land drastische Folgen für die Ernährungssicherheit der Welt haben könnte, vor allem in Regionen des globalen Südens wie Südasien oder Subsahara-Afrika. Jedenfalls dann, wenn in den geschützten Flächen keine Landwirtschaft mehr möglich wäre.

Es geht also um viele Details. Und Naturschutzorganisationen befürchten, dass die Ziele noch zu vage sind und ihre Einhaltung nicht garantiert werden kann. Im Pariser Klimaabkommen gibt es Kontrollmechanismen, im Übereinkommen über die biologische Vielfalt nicht.

Wildblumenwiese, Vogelhäuschen, Insektenhotel: Naturschutz beginnt im Kleinen

Das klingt nach düsteren und entmutigenden Aussichten.

Alte Ziegel, Holz, etwas Stroh: Ein Insektenhotel ist schnell gebaut und trägt zur Biodiversität bei. Es bietet gefährdeten Insektenarten Schutz und eine Nistmöglichkeit.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Patrick Pleul)
Alte Ziegel, Holz, etwas Stroh: Ein Insektenhotel ist schnell gebaut und trägt zur Biodiversität bei. Es bietet gefährdeten Insektenarten Schutz und eine Nistmöglichkeit.

Doch laut Josef Settele können wir alle zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen: Wer einen Garten hat, kann eine Insekten-Blühwiese anlegen. Wer einen Balkon hat, kann ein Vogelfutterhaus aufstellen oder insektenfreundliche Pflanzen ziehen.

So tun wir nicht nur der Natur etwas Gutes – die bunte Blütenpracht und fröhliches Vogelgezwitscher bereitet auch uns Menschen eine unmittelbare Freude.

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