Die Punkband "Die Toten Hosen" 1996 (v.l.n.r.): Breiti, Wölli, Campino, Andi und Kuddel (Foto: dpa Bildfunk, picture-alliance / dpa | Achim_Scheidemann)

SWR2 Wissen | Porträt zum 40. Geburtstag der Band

Die Toten Hosen – Von Punk zu Pop

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Bernd Lechler
SWR3 Moderator Bernd Lechler (Foto: SWR3)
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Manche werfen den Toten Hosen vor, den Punk zugunsten des Mainstreams verraten zu haben. Andere finden die ewigen Konkurrenten von den "Ärzten" politischer. Trotzdem bewegen Botschaften "der Hosen" die Menschen.

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Die Toten Hosen. In bunten Klamotten aus der Altkleidersammlung. Gegründet 1982 im Düsseldorf. Beim ersten Konzert an Ostern 1982 im Schlachthof Bremen versehentlich als "Die Toten Hasen" angekündigt.

Die Toten Hosen: "Vier Nicht-Musiker und ein halbes Genie"

  • Gesang: Andreas Frege alias Campino
  • Gitarre: Andreas von Holst alias Kuddel, schon zuvor mit Campino beim "Zentralkomitee Stadtmitte".
  • Zweite Gitarre: Michael Breitkopf, genannt Breiti, Klassenkamerad und bester Freund von Campino.
  • Bass: Andi Meurer, den Campino mit 14 beim Turn- und Sportverein Mettmann kennengelernt hatte. Andi hatte vor seiner Ernennung zum Bassisten noch nie einen Bass in der Hand gehalten und zog der Übersichtlichkeit halber zunächst immer nur zwei Saiten auf statt vier.
  • Schlagzeug: Klaus-Peter genannt Trini Trimpop, zuvor Videofilmer.

Laut Campino: "Vier Nicht-Musiker und ein halbes Genie." Nämlich Gitarrist Kuddel, der bis heute mit Campino die meisten Songs schreibt und auf dem ersten Album "Opel-Gang" auch fast alle Instrumente spielte.

Wenig Können, aber unermüdlich und kreativ bei den Proben

Später sagte ihr erster Produzent Jon Caffery, er habe noch nie mit einer Band gearbeitet, die so wenig konnte wie die Toten Hosen. Aber: Sie probten unermüdlich, auch mal im Dunkeln, um sich den ständigen Blick aufs Gitarrengriffbrett abzugewöhnen, spielten Shows auch vor leerem Saal mit vollem Einsatz und versammelten ein gutes Team um sich – lauter Freunde wie Jochen Hülder, ihr langjähriger Manager, der dann eine Konzertagentur, einen Musikverlag und eine eigene Plattenfirma mit ihnen gründete.

Die Toten Hosen – Fasziniert vom Punk

Die Toten Hosen waren keine Arbeiterjungs, die sich nach oben pöbeln mussten. Campino etwa stammt aus einer Juristenfamilie, die Mutter Engländerin, die in Oxford studiert hatte und ihre sechs Kinder zweisprachig erzog, der Vater Richter. Der Großvater war Präsident des Bundesverwaltungsgerichts. Aber sein Enkel und dessen Freunde eben: musikverliebt, abenteuerhungrig – und fasziniert von der ungehobelten Anti-Rockmusik, die in den Jahren zuvor aus Campinos zweiten Heimat England gekommen war: Punk.

Kein Interview für die BILD von den "Hosen"

Ihr Ethos blieb das der Punks: Kein Stargehabe, keine Selbsterhöhung, kein Interview für die BILD. Auch nicht als Millionäre heute.

Die Toten Hosen: Konzert 1987 im KOB, einem besetzten Haus in der Potsdamer Straße in Berlin (Foto: IMAGO, IMAGO / Votos-Roland Owsnitzki)
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Die Toten Hosen vor dem Kreuzberger "Scheißladen" in Berlin 1987 (Foto: IMAGO, IMAGO / BRIGANI-ART)
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Die Toten Hosen bei "1000 Takte Tanzmusik" vom Jugendradio Fritz des RBB in den 1990ern (Foto: IMAGO, IMAGO / United Archives)
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Die Toten Hosen im Stadion von Fortuna Düsseldorf in den 1990ern. Im Jahr 2001 bewahrten die Toten Hosen als Trikotsponsor den Verein vor der Pleite (Foto: IMAGO, IMAGO / United Archives)
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Wenig später füllen die Konzerte der Toten Hosen selbst Fussballstadien, wie hier die Olympiahalle in München 2012 (Foto: IMAGO, IMAGO / Stefan M Prager)
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Campino tritt 2012 auf bei "Wetten, dass?" mit Markus Lanz: Wie viel Punk ist von den Toten Hosen geblieben? (Foto: IMAGO, IMAGO / STAR-MEDIA)
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Spontanes Konzert der Toten Hosen beginnend auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche in Dresden 2017 zur Unterstützung der Proteste gegen Pegida (Foto: IMAGO, IMAGO / Max Stein)
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Plakat mit Aufschrift "AfD wählen ist sooo 1933": Auch auf den Konzerten von #wirsindmehr 2019 in Chemnitz sind die Toten Hosen vertreten (Foto: IMAGO, IMAGO / epd)
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Die Toten Hosen und die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sammeln gemeinsam Unterschriften, um ein Zeichen für einen besseren Schutz von Geflüchteten und gegen Rassismus und Rechtspopulismus zu setzen. Günter Burkhardt, Geschäftsfuehrer und Mitgründer von Pro Asyl (links im Bild) und Michael "Breiti" Breitkopf übergeben die Unterschriften am 20. März 2019 an die Vizepraesidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth. (Foto: IMAGO, IMAGO / Christian Ditsch)
Die Toten Hosen und die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sammeln gemeinsam Unterschriften, um ein Zeichen für einen besseren Schutz von Geflüchteten und gegen Rassismus und Rechtspopulismus zu setzen. Günter Burkhardt, Geschäftsfuehrer und Mitgründer von Pro Asyl (links im Bild) und Michael "Breiti" Breitkopf übergeben die Unterschriften am 20. März 2019 an die Vizepraesidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth. Bild in Detailansicht öffnen
Präsentation des Films "Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour" mit Regisseurin Cordula Kablitz-Post 2019 (Foto: IMAGO, IMAGO / Revierfoto)
Präsentation des Films "Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour" mit Regisseurin Cordula Kablitz-Post 2019 Bild in Detailansicht öffnen

Texte: politisch und persönlich

Zur Freude der Toten Hosen am Unflätigen kamen nach ihren Anfängen zunehmend politische und dann auch persönliche Themen hinzu, wie der Song "Nur zu Besuch" für Campinos verstorbene Mutter.

"Ich soll dich grüßen von den Andern / Sie denken alle noch ganz oft an dich / Und dein Garten, es geht ihm wirklich gut / Obwohl man merkt, dass du ihm doch sehr fehlst / Und es kommt immer noch Post, ganz fett adressiert an dich / Obwohl doch jeder weiß, dass du weggezogen bist"

Live spielt die Band diesen Song nur zu besonderen Anlässen. In Erfurt beispielsweise nach dem Amoklauf im Jahr 2002. Tausende von Briefen erreichten die Band nach diesem Konzert.

Engagement gegen Rechts: Bombendrohungen statt Fanpost

Bombendrohungen dagegen erhielt die Band wegen des Benefizsongs "Sascha, ein aufrechter Deutscher", mit dem die Hosen gegen die auflodernde Ausländerfeindlichkeit zu Beginn der 1990er ansangen. Sie engagieren sich bis heute in ihren Songs wie auch abseits der Bühne: unterstützen seit vielen Jahren die Organisation Pro Asyl, die stets mit Ständen bei den Konzerten präsent ist.

Zu einer großen Pegida-Gegendemonstration in Leipzig schmuggelten sie sich und ihre Bühne in einem LKW versteckt. Und als 2018 bei den Echo-Awards die Gangstarapper Kollegah und Farid Bang trotz antisemitischer Zeilen ausgezeichnet wurden, da schwieg die versammelte Branche, nur Campino bezog Stellung.

Lied "Europa" über das Massengrab im Mittelmeer

Die Texte der Hosen, stets direkt, nie lyrisch verklausuliert, spiegeln immer auch ein Stück Zeitgeschichte. 2012, drei Jahre vor der Debatte um Grenzen und Geflüchtete, hieß eines ihrer Lieder "Europa".

"Sie kommen zu Tausenden, doch die Allermeisten / Werden das gelobte Land niemals erreichen / Denn die Patrouillen werden sie aufgreifen / Um sie in unserem Auftrag zu deportieren / Und der Rest, der wird ersaufen / Im Massengrab vom Mittelmeer"

Magical Mystery Tour: Wohnzimmerkonzerte in Privatwohnungen der Fans

Trotz ihres Erfolgs verkleinern die Toten Hosen die Distanz zu ihren Fans mit dem, was sie "Magical Mystery Tours" nennen. Fans können sich bei ihnen bewerben, und mit etwas Glück kommen sie zum Kleinstkonzert.

Sie haben in Privatwohnungen, Krankenhäusern und Internaten gespielt – und sie bestehen auf eine gemeinsame Übernachtung und ein Frühstück, betont Campino.

Die Toten Hosen und ihre Krisen

Doch auch die Bandkrisen fehlten nicht: Als beim 1000. Konzert ein Mädchen im Publikum starb und die Band lange nicht mehr auftreten wollte. Als in den 1990ern der Alkohol- und Drogenkonsum bei allen außer Kontrolle geriet. Als sie Ende der Nuller Jahre nicht mehr recht wussten, ob sie noch etwas zu sagen hatten.

Aus diesem letzten Tief heraus erreichten sie allerdings, nach 30 Jahren Bandgeschichte, den Gipfel ihres Erfolgs:

"Ich wart' seit Wochen / Auf diesen Tag / Und tanz' vor Freude über den Asphalt / Als wär's ein Rhythmus / Als gäb's ein Lied / Dass mich immer weiter durch die Straßen zieht / Komm' dir entgegen / Dich abzuholen / Wie ausgemacht / Zu derselben Uhrzeit / Am selben Treffpunkt / Wie letztes Mal"

Ist das noch Punk?

"Tage wie diese", ein euphorischer Song, an dem sie endlos herumgebastelt hatten, wurde 2012 ihr erster Nummer-eins-Hit – nach dem eher komödiantischen "Zehn Kleine Jägermeister" 16 Jahre zuvor. Die Verkaufszahlen wurden noch größer, die Stadien ebenfalls, die Tickets gingen noch schneller weg. Bleibt die bohrende Frage, die die Toten Hosen lange Jahre begleitete: Ist das noch Punk?

"Jawohl", sagt Live-Aid-Begründer Sir Bob Geldof im Dokumentarfilm "Nichts als die Wahrheit" über die Toten Hosen. Schließlich gehe es um eine Haltung. Die sei bei den Toten Hosen in all der Zeit dieselbe geblieben.

Die Toten Hosen: Gemeinschaftsgrab für 17 Personen gekauft

Und wie auch immer die Geschichte weitergeht: Schon vor 20 Jahren haben die Toten Hosen auf dem Düsseldorfer Südfriedhof ein Gemeinschaftsgrab für bis zu 17 Personen gekauft. Drei Plätze sind belegt, von Ex-Schlagzeuger Wölli Rohde, vom langjährigen Manager Jochen Hülder und dem ehemaligen Roadie Uwe Faust. Sie werden sich also nicht aus den Augen verlieren.

Dokumentation „Auswärtsspiel: Die Toten Hosen in Ost-Berlin“: Eine nostalgische Reise in die Vergangenheit des Punk

Ein filmisches Geschenk zum 40. Bandgeburtstag: Mit Archivmaterial, emotionalen Interviews und animierten Cartoon-Sequenzen zeichnet die SWR-Dokumentation von Martin Groß eine nostalgische Gegenüberstellung der Punkszenen der 80er aus Ost und West. Im Mittelpunkt steht ein Guerilla-Kirchenkonzert der Toten Hosen, das einen der größten Coups ihrer Bandgeschichte ausmacht.

Zelt-Musik-Festival-Freiburg Die Toten Hosen begeistern beim ZMF mit Gerhard Polt und den Well-Brüdern

Campino kauft sich eine Lederhose und auf der Bühne treffen Alphörner auf Gitarrenriffs. Das ist in der Tat eine „kulturelle Zumutung“. Unter diesem Motto sind die Toten Hosen mit den Well-Brüdern und Gerhard Polt derzeit auf Tournee. Beim Freiburger Zeltmusikfestival (ZMF) feiern sie mit 2000 begeisterten Fans einen ausgelassenen Abend mit weitem Horizont.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Campino im Gespräch Hope Street. Wie ich einmal englischer Meister wurde

Campino, Sänger der Punkband Die Toten Hosen ist glühender Fan des FC Liverpool. In seinem Buch geht es aber um mehr als Fußball. Der Sänger geht der Geschichte seiner deutsch-englischen Familie nach. Im Lesenswert Gespräch erklärt er außerdem was es mit seiner Vorliebe für Kräutertees mit wohlklingenden Namen auf sich hat.
Theresa Hübner im Gespräch mit Campino.

Piper Verlag, 368 Seiten, 22 Euro.
EAN 978-3-492-07050-8

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Gespräch „Unzerstörbare Loyalität“ – Gitarrist Michael Breitkopf über 40 Jahre Tote Hosen

Im Mai 2022 feiern „Die Toten Hosen“ ihr 40-jähriges Bestehen. Sie sind nicht nur eine der erfolgreichsten, sondern auch politisch engagiertesten deutschen Bands. 

SWR2 Tandem SWR2

BILD-Zeitung und Springer-Presse

Medien 70 Jahre BILD-Zeitung – Zwischen Boulevard und Hetze

BILD polarisiert mit Skandalen, Sex und Boulevard. 1952 von Axel Springer gegründet, kämpft das Blatt heute gegen den Bedeutungsverlust – als Online-Medium und mit eigenem TV-Kanal.

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12.4.1968 Proteste vor Springer-Hochhaus nach Attentat auf Dutschke

12.4.1968 | Ein Tag nach dem Attentat auf Rudi Dutschke protestieren Studenten vor dem Hochhaus des Axel-Springer-Verlags. Die Demonstranten behindern die Auslieferung der Springer-Zeitungen. Sie werfen dem Springer-Verlag eine Mitschuld am Attentat auf Dutschke vor. Die Springer-Zeitungen hätten durch ihre Berichterstattung den Hass auf Dutschke geschürt.

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Porträt David Bowie – Chamäleon der Popkultur

David Bowie prägte den Pop wie kaum ein anderer Solo-Künstler. Er brachte die Kunst-Performance auf die Bühne, überwand die Grenzen zwischen Pop und Rock, spielte mit sexuellen Identitäten. Am 8. Januar 2022 wäre er 75 Jahre alt geworden.

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