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Äh, ähm, genau – Wozu gibt es Füllwörter?

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Max Rauner
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Justina Bretzel
Candy Sauer

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Ähm, okay und sowieso – zu Unrecht verpönt?

Hier ein "Ähm", da ein "Okay" oder ein "Genau" – Füllwörter gelten als störend und wer sie zu häufig verwendet, gilt als unsicher. Deshalb versuchen viele Menschen, die verpönten Wort-Einsprengsel loszuwerden. Nicht selten geben sie für entsprechende Sprach- und Rhetoriktrainings beträchtliche Summen aus.

Diskursmarker, Diskurspartikel oder Häsitationsmarker

Irgendeine Aufgabe scheinen Füllwörter aber zu erfüllen, sonst würden sie sich nicht so hartnäckig in unserem Sprachgebrauch halten. Diese Frage beschäftigt daher auch die Sprachwissenschaft. Die "Ähs" und "Ähms" werden hier als "Diskursmarker", "Diskurspartikel" oder auch "Häsitationsmarker" bezeichnet und keinesfalls als unnötig oder störend abgetan. Mittlerweile existieren tausende Stunden digitaler Ton- und Videoaufnahmen, um dem Geheimnis der Füllwörter auf die Spur zu kommen.

Das "Powerpoint-Genau" zwischen den Präsentationsfolien

Interessanterweise haben Füllwörter sich oft von ihrer ursprünglichen Bedeutung entfernt und weiterentwickelt. Das weiß Florence Oloff, Linguistik-Professorin und Füllwörter-Expertin am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Ein eindrückliches Beispiel biete hier der deutsche Favorit unter den Füllwörtern: das "Genau".

Das "Genau" ist, glaube ich, mit eins der emblematischsten Füllwörter im Deutschen, weil es einfach so häufig ist. Es ist extrem häufig.

In Aussagen dient "genau" dazu, etwas zu präzisieren. Zum Beispiel: "Das Buch hat genau 399 Seiten". In Dialogen hilft es, Wissen auszutauschen und abzugleichen. Durch ein "genau" könne man sich gegenseitig bestätigen, im Sinne von: So ist es doch, oder? – Genau, ja so ist es.

Und dann nennt Florence Oloff noch das "Powerpoint-Genau". Ein Begriff, der von dem Freiburger Linguisten Peter Auer stammt. Hierbei handelt es sich um ein recht junges sprachliches Phänomen, das häufig in Vorträgen oder Prüfungssituationen auftaucht.

Möglichst viel Interessantes und Wichtiges sagen

Warum ist das so? Sprecherinnen und Sprecher stünden hier oftmals unter Druck, so Florence Oloff. Sie möchten und müssen möglichst viel Interessantes und Richtiges sagen. Das "Genau" tauche dann auf, wenn die kognitive Leistung besonders hoch ist. Meist ist das zwischen einzelnen Slides, denn hier müssen sich Gedanken oft neu ordnen oder die sprechende Person sich daran erinnern, welche Inhalte als nächstes drankommen. Daher die treffende Bezeichnung "Powerpoint-Genau".

Eine Schülerin hält einen Vortrag mit Karteikarten in der Hand. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Christin Klose)
Möglichst einen guten Eindruck machen und bloß nichts Falsches sagen: Insbesondere in Vorträgen und Prüfungssituationen müssen wir hohe Denkleistungen erbringen. Füllwörter, wie "ähm" und "genau" schaffen kognitive Verschnaufpausen und helfen, uns beim Sprechen zu strukturieren.

Füllwörter verbessern Sprachverständnis und Satzstruktur

Viele Stimmen aus der Sprachforschung verteidigen Füllwörter als zu Unrecht verpönt. So auch Kerstin Fischer. Laut der Professorin für Sprache und Technik-Interaktion an der Universität Süddänemark sind "Ähm" und "Äh" keineswegs Zeitverschwendung oder Fehler im menschlichen Sprachsystem. Wenn die Dosis stimmt, verrät Fischer, kommen eingestreute Füllwörter einer Rede sogar zugute. Zusammen mit ihrem Kollegen Oliver Niebuhr konnte sie diese ideale Anzahl an Diskurspartikeln auf 2 bis 3 pro Minute beziffern.

Ähnliche Befunde kommen aus der Psychologie. So zeigte Jean Fox-Tree, Psychologieprofessorin an der University of California in einem Experiment, dass Füllwörter das menschliche Sprachverständnis und das Wiedererkennen einzelner Begriffe verbesserten.

Auch Larssyn Staley von der Universität Zürich hat sich eindringlich mit Füllwörtern beschäftigt. Hierfür hat sie Konversationen in Alltagssituationen unter die Lupe genommen. Füllwörter, so Staley, helfen nicht nur dabei, Sätze zu gliedern. Sie können auch eine Reparaturfunktion übernehmen, wenn man sich versprochen hat und man ein Wort korrigieren möchte. Außerdem werden die Ähs und Ähms häufig vor schlechten Nachrichten eingeschoben, wie eine Art sprachlicher Dämpfer.

Kellner kassiert im Kaffeehaus (Foto: IMAGO, imago/blickwinkel)
Darf ich Ihnen, ähm, die Rechnung bringen? - Alltägliche Dialoge, wie ein Restaurantbesuch, sind gespickt von Füllwörtern. Nur fallen sie uns hier kaum auf. Dabei erfüllen sie vielerlei praktische Funktionen.

Charisma und sprachliche Würze

Diese Forschungsergebnisse lassen Füllwörter in einem ganz anderen Licht erscheinen:

Füllwörter bringen eine bestimmte Würze rein, indem sie den Sprecher in einer bestimmten Weise charakterisieren, eben als bodenständig, als authentisch, auch als ausstrahlungsstark, als spontan, sozusagen als einer von uns.

Tipp vom Sprachforscher: an der Aussprache der Füllwörter arbeiten

Der Sprachforscher Oliver Niebuhr von der Universität Süddänemark rät zur Gelassenheit. In geringen und in normalen Maßen, laut ihm bis zu sechs Mal pro Minute, seien sie gar kein Problem. Im Gegenteil, Füllwörter verleihen uns sozusagen "akustisches Charisma". Ansonsten, so Niebuhr, könne man an der Aussprache der Ähms arbeiten, da es selten klappe, sich die Ähms ganz abzugewöhnen. Ein diskretes "Ämm" statt einem langgezogenen "Ähhm" falle im Satz schon viel weniger auf.

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