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07.01.1955: Die Afroamerikanerin Anderson singt in der Met

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AUTOR/IN
Katharina Eickhoff

Die schwarze Diva Marian Anderson war längst schon als Jahrhunderttalent gefeiert worden. Aber es dauerte Jahrzehnte, bis die Metropolitan Opera ihr die Bühne freigab.

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Die erste afro-amerikanische Solistin in der MET

Als Marian Anderson am 7. Januar 1955 in der neuen Produktion von Verdis „Un Ballo in Maschera“ die Bühne der Metropolitan Opera betritt, wird sie mal wieder am Singen gehindert. Allerdings nicht, wie früher, ihrer Hautfarbe wegen. Hier schlägt ihr geballte Liebe und Bewunderung entgegen, und vor lauter Applaus kann sie ihre Arie nicht beginnen. Manche im Publikum weinen. Und alle, die an diesem Abend anwesend sind, wissen um den historischen Moment, den sie da erleben.

Am besten weiß es Marian Anderson, die, wie sie später sagt, ihren Auftritt zitternd absolviert hat: Sie ist die erste afro-amerikanische Solistin auf Amerikas legendärer Opernbühne.

Operndebüt mit 57 Jahren

Eigentlich kommt dieser Auftritt viel zu spät: Marian Anderson ist bei ihrem MET-Debüt 57 Jahre alt, und ihre Stimme zeigt, wie man hören kann, deutliche Altersspuren – aber hier geht es nicht darum, wie Marian Anderson singt, sondern dass sie singt. Schon zwei Mal hat sie da Geschichte geschrieben – zuerst einfach mit ihrer schönen Stimme: In den 30er Jahren ist sie, ihrer Hautfarbe zum Trotz, zur erfolgreichsten Konzertsängerin der USA aufgestiegen. Für ihren golden leuchtenden, warmen Alt hat man sie bis nach Europa verehrt, auch Jean Sibelius, Toscanini und Bruno Walter waren Fans. Und dann war da natürlich noch der 9. April 1939:

„The nation’s most impressive easter demonstration: Seventy-five thousand mass before Lincoln Memorial to hear Marian Anderson, colored contralto, make her capital debut at the great emancipator’s shrine.”

Gänsehautszenen am Lincoln-Memorial

Was die Wochenschau hier beschreibt, ist ein Meilenstein in Amerikas Geschichte: Weil ein paar Society-Hyänen des Washingtoner Establishments ein Konzert Andersons in der Constitution Hall verhindert haben, hat Eleanor Roosevelt persönlich einen Open-Air-Auftritt am Lincoln-Memorial für sie organisiert - dem Weihe-Ort der Nation also.

Rund 75 000 Menschen sind gekommen, und wenn man die Filmaufnahmen heute betrachtet, löst diese Szene immer noch Gänsehaut aus: Die kleine schwarze Frau, wie sie da vor dem gigantischen Marmor-Lincoln steht und mit großer Würde ihr Lied anstimmt: „Von dir, mein Land, singe ich, dem süßen Land der Freiheit.“

Die Sängerin Marian Anderson in Schwarzweiß (Foto: IMAGO, imago images / ZUMA Press)

Singen für die kommenden Generationen

Marian Anderson wird zur Ikone der sich gerade formierenden Bürgerrechtsbewegung, sie erscheint auf dem Time Magazine-Cover, singt bei den Amtseinführungen von Eisenhower und Kennedy – und musste doch fast sechzig Jahre alt werden, um in der Metropolitan Opera auf die Bühne zu dürfen. Kein Wunder, dass ihr an jenem Abend die Last ihrer eigenen Bedeutung schwer auf den Schultern lag. Sie wusste, dass sie das auch tat für die, die nach ihr kamen – und sie kamen: Leontyne Price, Grace Bumbry, Barbara Hendricks, Kathleen Battle, Jessye Norman, und viele andere mehr.

Ist also inzwischen alles gut? An der Metropolitan Opera dagegen stehen zur Zeit immerhin 36 schwarze Sänger auf der Gehaltsliste – 36 von insgesamt 368 Sängern.

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Katharina Eickhoff