Musikstück der Woche vom 5. Dezember 2016

Wer nicht sucht, der findet

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Katharina Höhne

Joseph Haydn: Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur

Jahrzehnte lang blätterten sich Wissenschaftler durch Archive und Bibliotheken. Ihre Mission: die Wiederentdeckung von Joseph Haydns Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur. Sie reisten um die halbe Welt, doch wie so oft, wenn man etwas sucht, blieben die Noten unauffindbar. Erst vor 55 Jahren fielen sie dem tschechischen Musikforscher Oldrich Pulkert im Prager Nationalmuseum zufällig in die Hände. Sofort holte Pulkert ausgewiesene Haydn-Experten nach Tschechien, um sein Fundstück überprüfen zu lassen.

Tatsächlich: bei der losen Blattsammlung handelte es sich um das knapp 200 Jahre lang vermisste Konzert. Binnen weniger Monate wurde es rekonstruiert, heute gehört es fest zur Celloliteratur. 2015 hat Valentin Radutiu das Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern in Mainz gespielt. Die künstlerische Leitung übernahm dabei der Spanier Pablo González.

Isolation macht erfinderisch

Knapp 40 Jahre stand Joseph Haydn im Dienst der österreichischen Fürstenfamilie Esterházy. Als Kapellmeister schuf er ein riesiges Oeuvre, mit dem er sich nicht nur durch alle Gattungen der Musik bewegte sondern auch eine ganz neue Klangsprache fand: "Ich konnte als Chef eines Orchesters mit diesem Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, was ihn schwächt, ich konnte verbessern, zusetzen, wegnehmen und wagen." 

Skulptur von Fürst Nikolaus I. Esterházy vor seinem Schloss im heute ungarischen Fertöd (Foto: SWR, SWR -)
Skulptur von Fürst Nikolaus I. Esterházy

Fürst Nikolaus I. Esterházy, war zwar in mancherlei Hinsicht etwas 'speziell' und was das zwischenmenschliche Miteinander anging nicht gerade einfach, dafür aber ein großer Kunstliebhaber. In gute Musik investierte er wie kaum ein anderer, verlangte seiner fürstlichen Hofkappelle aber auch einiges ab. Quasi täglich wollte er mit einem neuen Stück Musik überrascht werden, deshalb konnte er kaum bis gar nicht auf Haydn verzichten. Also reiste er nicht wie viele seiner Zeitgenossen durch Europa, um sich auszutauschen oder inspirieren zulassen, sondern blieb 'zu Hause'. Ihm blieb damit gar nichts anderes übrig, als, wie er sagte, originell zu werden. 

Komponist Joseph Haydn (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Joseph Haydn (1732 – 1809)

Zu Haydns Aufgaben zählte es, den Musikern der Hofkappelle Solo-Konzerte zu schreiben – im Idealfall sogar auf den Leib zu schneidern. Sie sollten damit die Chance haben, sich neben ihrer Arbeit im Orchester auch solistisch zu profilieren. Das Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur entstand wahrscheinlich für Joseph Weigl, der in den 1760er Jahren als Cellist an Esterházys Hof beschäftigt war. Weigl muss ein ausgezeichneter Musiker gewesen sein, denn Haydn Musik ist spieltechnisch höchst anspruchsvoll und verlangt auch interpretatorisch viel: schwebende Leichtigkeit, drängende Leidenschaft und ein fein süßliches Aroma. 

Ein Schritt Richtung Zukunft

Das Cellokonzert bildet in Haydns Repertoire eine Art Brückenfunktion. Auf der Schwelle zur Wiener Klassik, ist das ausklingende Zeitalter des Barock noch zu hören, vor allem im Moderato und Allegro Molto – den zwei Ecksätzen des insgesamt dreisätzigen Werks. Einen kleinen Vorgeschmack auf die Musik, mit der Haydn weltberühmt wurde, gibt der Mittelsatz: Im Adagio blitzt die Wiener Klassik in einer Form auf, die er später perfektionierte und als richtungsweisend etablierte: die Sonatenhauptsatzform bzw. das Duell zwei entgegengesetzter  Themen. Violoncello und Orchester fusionieren in diesem Konzert, in dem es Teile aus dem Tutti herausgreift und verstärkt bzw. weiterentwickelt – harmonisch und mit viel Empathie. 

Valentin Radutiu (Cellist)

Valentin Radutiu wurde 1986 in München geborenen. Sein Vater brachte ihm das Cellospiel bei, später studierte er in Salzburg, Wien und Berlin, u.a. bei Heinrich Schiff. Mit seinem "aufregend eigenen, energiereichen, in die Höhe berückend singenden, in den tiefen Registern stets klar konturierten, männlichen Ton", wie die Presse schreibt, zählt er zu den aufstrebenden Cellisten seiner Generation. 

Valentin Radutiu ist Preisträger zahlreicher (inter-)nationaler Wettbewerbe, u.a. dem Musikpreis der Deutschen Wirtschaft 2011. Er wurde drei Jahre lang von Bayer Kultur im Projekt "stART" gefördert. Sie unterstützte ihn bei der Umsetzung von Konzerten und künstlerischen Projektideen. Radutiu spielte bereits mit namhaften Orchestern im In- und Ausland wie dem Deutschen Symphonieorchester Berlin oder der Hong Kong Sinfonietta und trat u.a. in der Berliner Philharmonie und bei renommierten Festivals wie dem Heidelberger Frühling auf. Zu seinen bisherigen Kammermusikpartnern zählen z.B. das Hagen Quartett. Darüber hinaus hat er bereits mehrere CDs eingespielt, darunter auch die Cellokonzerte von Haydn. Valentin Radutiu spielt ein Violoncello von Francesco Ruggieri aus dem Jahr 1685. 

Pablo González (Dirigent)

1975 in Oviedo (Spanien) geboren, studierte Pablo González in seiner Heimatstadt Querflöte. Später widmete er sich dem Dirigieren und beendete seine Ausbildung an der Guildhall School of Music and Drama in London. In Großbritannien leitete er zunächst kleine Ensembles wie die BBC Singers. Danach ging er als Assistent von Sir Colin Davis zum London Symphony Orchestra, mit dem er an der Aufnahme von Hector Berlioz "Die Trojaner" arbeitete, die zwei "Grammy Awards" gewann.  

Als Preisträger zahlreicher Wettbewerbe, wie dem "First National Competition for Young Conductors" in Granada, gehört Pablo González heute zu den gefragtesten Dirigenten weltweit. Neben allen wichtigen spanischen Orchestern, steht er als Gastdirigent hinter dem Pult renommierter Orchester wie dem BBC Philharmonic Orchestra oder der Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo. Dazu arbeitet er mit Stars der internationalen Klassik-Szene wie Anne-Sophie Mutter zusammen.   

Die Deutsche Radio Philharmonie

Die Deutsche Radio Philharmonie entstand 2007 aus der Fusion der beiden traditionsreichen ARD-Klangkörper, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (SR) und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern (SWR). Sie hat in kürzester Zeit ein eigenes Profil gewonnen und sich seinen Platz unter den renommierten deutschen Rundfunkorchestern erspielt. Programmschwerpunkte bilden neben dem Vokalbereich das klassisch-romantische Repertoire sowie die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Auftragskompositionen erweitern das Repertoire. Chefdirigent ist seit der Spielzeit 2011/12 der Brite Karel Mark Chichon.

Auch als Musikstück der Woche verfügbar: Joseph Haydn, Konzert für Violoncello und Orchester D-Dur

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Katharina Höhne