Musikstück der Woche vom 12.1.2015

Gänsehaut-Musik

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Samuel Barber: Violinkonzert op. 14

Die Stille der Schweizer Bergwelt und der Großstadtrummel von Paris – beides hat in Samuel Barbers Violinkonzert seine Spuren hinterlassen. In unserer Aufnahme spielt der Geiger Augustin Hadelich, begleitet vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Leitung von Sir Neville Marriner, der dem Orchester viele Jahre lang als Chefdirigent vorstand. Das Konzert war am 24.01.2013 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle.

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"Ich versuche meistens, die Gefühle, die in der Passage vermittelt werden sollen, in diesem Moment auch selbst zu fühlen - damit es eben nicht so klingt, als ob man das spielt, was man geübt hat, sondern fast schon so, als ob man in diesem Moment komponieren würde", sagt der Geiger Augustin Hadelich. "Es ist schwierig, spontan zu sein, wenn man das Stück stundenlang geübt hat, um die kleinsten Details perfekt drauf zu haben. Das Publikum erwartet heutzutage diese CD-artige Perfektion, deshalb muss man sich sehr gut vorbereiten. Wie kann man aber auf der Bühne so spielen, als ob einem die Musik gerade aus dem Herzen fließt? Mir hilft es da, innerlich mitzusingen, mit dem Stück mitzuatmen; und mich so tief wie möglich in diese Gefühlswelt hineinzuversetzen." In unserem Musikstück der Woche ist das die Gefühlswelt von Samuel Barbers Violinkonzert.

Komponiert für einen Seifen-Millionär

Der Seifenfabrikant Samuel Fels bestellte das Konzert 1939 bei Barber für seinen Adoptivsohn Iso Briselli, einen brillanten jungen Geiger. 1000 Dollar bot Fels Barber dafür an: 500 direkt auf die Hand, 500 nach Fertigstellung. (Eine sehr ansehnliche Summe! Béla Bartók – damals im Gegensatz zu Barber bereits ein etablierter Komponist – bekam kurz darauf den selben Betrag für sein "Konzert für Orchester".) Barber begann die Komposition in der wunderbaren Schweizer Berglandschaft von Sils Maria im Oberengadin, schrieb weiter in Paris und vollendete das Konzert in den USA. 

50% Abzug wegen Nichtgefallens

Nur die Hälfte des Honorars ging tatsächlich auf Barbers Konto ein, denn Briselli war mit dem Konzert nicht einverstanden – in manchen Quellen liest man, Briselli habe den rasanten dritten Satz des Konzertes für unspielbar befunden; andere vermuten, das Konzert habe seinem eher konservativem Musikgeschmack nicht entsprochen – was heute vielleicht erstaunen mag, denn Barbers Klangsprache ist eng verwurzelt in der Romantik und seine Vorliebe für schwelgerische, einprägsame Melodien kommt hier voll und ganz zum Ausdruck. Augustin Hadelich: "Barbers Musik ist immer sehr gefühlvoll, sehr emotional. Ich würde das Violinkonzert nicht als tragisches Stück bezeichnen, aber als ein Stück mit großen Emotionen, vor allem im langsamen Satz – wenn ich das Thema des langsamen Satzes auf der G-Saite spiele, das ist unglaublich schön, da kann man schon eine Gänsehaut bekommen, selbst wenn man auf der Bühne steht!" Vor allem in Amerika gehört das Konzert heute zu den Lieblingsstücken der großen Geiger – und des Publikums.

Augustin Hadelich

wurde 1984 als Sohn deutscher Eltern in der Toskana geboren und war schon früh sehr gut auf der Geige. Mit 17 Jahren erlitt er einen schweren Brandunfall; lange war unklar, ob der junge Geiger überhaupt wieder spielen könnte. Er erholte sich von den Verletzungen, studierte in Livorno und an der New Yorker Juilliard School und gewann 2006 beim Internationalen Violinwettbewerb von Indianapolis den 1. Preis, außerdem sechs Sonderpreise. Bereits als Jugendlicher erhielt er u. a. den REGIO-Förderpreis Basel und ein Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg. Im Jahr 2009 bekam er in New York den "Avery Fisher Career Grant" verliehen, 2011 wurde er mit einem Stipendium des Borletti-Buitoni Trusts ausgezeichnet.

Augustin Hadelich lebt in New York und tourt mit seiner Geige um die Welt; regelmäßig laden ihn die großen europäischen und amerikanischen Orchester zu Konzerten ein, mehrmals war er auch schon beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zu Gast.

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Foto: SWR, SWR - Uwe Ditz)
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Seit seiner Gründung 1945 hat das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR eine beeindruckende Entwicklung und einen enormen künstlerischen Aufschwung vollzogen. Heute ist das Orchester einer der bedeutendsten musikalischen Botschafter des Landes. Pro Saison spielt das RSO rund 80 Konzerte in Stuttgart und im Sendegebiet des Südwestrundfunks; es gastiert in nationalen und internationalen Musikzentren und bei internationalen Festspielen, darunter seit über 50 Jahren bei den Schwetzinger SWR Festspielen. Ergänzt wird die Konzerttätigkeit durch zahlreiche Studioproduktionen für Radio und Fernsehen des SWR sowie für den Tonträgermarkt, vor allem für das SWR-eigene Label SWRmusic.

Das RSO Stuttgart pflegt einerseits das klassisch-romantische Repertoire der sinfonischen Tradition in exemplarischen Interpretationen, andererseits setzt es sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten gespielte Werke und Komponisten ein. Seit seiner Gründung hat das RSO Stuttgart weit über 500 Werke uraufgeführt. Viele bedeutende Komponisten, darunter Strawinsky, Hindemith, Boulez, Henze, Penderecki, Lachenmann, Kagel, Ruzicka und Pintscher, haben ihre eigenen Werke für Konzerte des RSO Stuttgart einstudiert. In der Konzertreihe attacca – Geistesgegenwart.Musik finden junge Komponisten der Avantgarde ein Podium, um ihre musikalischen Klangvorstellungen und Experimente zu realisieren.

Prägende Dirigentenpersönlichkeiten waren - neben zahlreichen renommierten Gastdirigenten - insbesondere die Chefdirigenten Sergiu Celibidache, Gianluigi Gelmetti, Sir Neville Marriner und Sir Roger Norrington. Seit 2011 steht Stéphane Denève als Chefdirigent an der Spitze des Orchesters.

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Doris Blaich