Musikstück der Woche

Martin Klett spielt Johannes Brahms: 4 Stücke für Klavier op. 119

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AUTOR/IN
Thilo Adam

Als "Monologe in einsamer Abendstunde" empfand der Kritiker Eduard Hanslick Brahms’ letztes Werk für Soloklavier. Zart-düstere Gespinste aus Melancholie und schüchternen Gesten, ehe es doch noch einmal Tag wird.

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Zwischen plapperndem Wiener Großbürgertum im Urlaub entstehen im Kaiserkurort Ischgl vier kontemplative Klaviermonologe, Brahms' letztes Werk für Soloklavier: die Klavierstücke op. 119. Das Musikstück der Woche wird von dem Pianisten Martin Klett einfühlsam und ausdrucksstark gespielt.

Musikalischer Rückblick?

Matt verhangene Klangräume, gefühlssatte Vorhalte, herbstliches Flirren: Introvertiert und eigenbrötlerisch kommen die ersten drei Intermezzi daher — ein musikalischer Rückblick auf vergangene Leiden und Leidenschaften?

Dann aber, bei der abschließenden Rhapsodie, langte unser Interpret Martin Klett im Ettlinger Schloss kräftig hin: Was zuvor nur unterhalb der traurig-resignierten Oberfläche brodelt, bricht jetzt drängend hervor. Es ist als schallen Hörner durch den Wald: Allegro risoluto!

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Sturm unterm Jägerschen Normalhemd

Die Sommer verbrachte der alternde Brahms mit Vorliebe im oberösterreichischen Kurort Ischl. Dort wo auch das Kaiserpaar Sissi/Franz urlaubte, schien es ihm sichtlich Freude zu machen, dem aristokratisch-anbiedernden Gehabe der Wiener Bürgerkaste kernig-eigenbrötlerische Grummeligkeit entgegenzuhalten. Der Wiener Journalist Daniel Spitzer beschreibt ihn damals so:

„Geht man gegen zwei Uhr nachmittags in das Café Walter, so sieht man an einem Tische im Freien, Kaffee trinkend und Zigaretten rauchend, einen sehr kräftigen, untersetzten Fünfziger mit blondem Haar, die hoch geröteten Wangen von einem grauen Bart eingerahmt, und mit blitzenden blauen Augen, denen man ansieht, dass in der geistigen Werkstätte dieses Mannes fortwährend gehämmert und geschmiedet und niemals gefeiert wird. In seiner Brust toben manchmal vielleicht wilde Stürme, aber an der Oberfläche sieht man nichts wie ein sich ewig gleich bleibendes Jägersches Normalhemd. Es ist Johannes Brahms, der sich diesmal entschlossen hat, einen Sommer ausschließlich in Ischl zuzubringen. Er ist in größerer Gesellschaft sehr wortkarg und brummt nur zeitweilig eine ironische Bemerkung; im intimen Kreise aber nimmt er lebhaft an der Unterhaltung teil.“

Leiden, Ländler, leggiero

Brahms’ „geistiger Werkstätte“ entsprangen 1893 die vier Klavierstücke op. 119, drei Intermezzi, eine Rhapsodie. Eines nach dem anderen, wie sie gerade fertig wurden, schickte er die Manuskripte als Sommergrüße an die alte Freundin Clara Schumann — mit einer versteckten musikalischen Botschaft? Die tränengleich fallenden Terzen im melancholischen ersten Intermezzo erinnern jedenfalls an das Klaviernachspiel von Robert Schumanns „Dichterliebe“, bei der am Ende die Liebe begraben wird — vielleicht eine musikalische Rückschau auf vergangene Leiden und Leidenschaften?

Im zweiten Intermezzo dann Reminiszenzen ans Ungarische, ein zutraulicher Ländler in den sich spärlich Mollseufzer einnisten. Aus den gleichen Ausgangstönen formt Brahms im jovialen dritten Intermezzo eine ganz andere melodische Gestalt — mit hintergründig-humorig gegen den Takt verschobenem Beat und durchweg molto piano e leggiero. Endlich auftrumpfen darf der Pianist schließlich im letzten Stück, Rhapsodie in Es-Dur, Allegro risoluto. Es ist, als schallen Hörner durch den Wald, trotzig, herb und hanseatisch klar.

„Phantasiestücke ganz unmöglich"

So orchestral kommt die Nr. 4 daher, dass Brahms-Verleger Fritz Simrock gerne eine Orchesterversion der Rhapsodie herausgegeben hätte. Nach einigem Hin und Her erteilt Brahms dem aber recht unwirsch eine Absage: „Bringen denn Ihre verfluchten Orchesterarrangements gar soviel Geld ein, und ist die ganz unkünstlerische Geschmacklosigkeit deshalb so gar durchaus nötig? (…) Das bloße Klavierstück ist eben kein Orchesterstück und wird keines.“

Auch bei der Benennung des Opus 119 war man sich zunächst uneins: „Phantasiestücke ganz unmöglich“, schreibt Brahms. Auch „Charakterstücke“ schließt er kategorisch aus. Am Ende bleibt es bei der simpelsten Lösung: „Es bleibt wohl nichts übrig als ‚Klavierstücke’! Schließlich heißen ja die einzelnen Stücke auch immer mit denselben Namen: Intermezzi, Kapricen, Rhapsodien usw. Die Leute finden doch ihre Lieblinge heraus.“

Martin Klett …

Martin Klett, Jahrgang 1987, ist ein gern gesehener Gast internationaler Musikfestivals, darunter Schleswig-Holstein, Luzern, Heidelberg, Mecklenburg-Vorpommern, Schwetzingen und Oberstdorf. Engagements führen ihn auf Podien in ganz Europa und Asien. Als Kammermusiker tritt Martin Klett regelmäßig mit namhaften Musikern auf: Sebastian Manz, Sabine Meyer, Benedict Klöckner, Maximilian Hornung u. a.

Zusätzlich zu seiner Tätigkeit als klassischer Interpret geht Klett seiner Begeisterung für den Argentinischen Tango nach. Im Jahre 2008 gründete er das Cuarteto SolTango, mit dem bringt er auf höchstem kammermusikalischen Niveau Tango Argentino auf die Bühne.

… am Klavier

Geprägt hat Martin Klett im Studium an der Musikhochschule Lübeck sein langjähriger Mentor, Prof. Konrad Elser. Es folgten Impulse durch Elisabeth Leonskaja, Pascal Devoyon, Leon Fleisher, Gerhard Schulz und Walter Levin. Neben zahlreichen internationalen Preisen und Auszeichnungen (1. Preise beim Deutschen Musikwettbewerb 2008 und beim Internationalen Johannes-Brahms-Wettbewerb) wurde Martin Klett durch ein Stipendium des Deutschen Musikwettbewerbs 2014 und einen Sonderpreis der Deutschen Stiftung Musikleben als Solist gewürdigt. Klett gibt Meisterkurse in Südostasien und unterrichtet als Dozent für Klavier an der Hochschule für Musik Leipzig.

Autor: Thilo Adam

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Thilo Adam