Buch-Tipp

Mehr als Freimaurer-Märchen? Neuer Interpretationsversuch für Mozarts „Zauberflöte“

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Jan Ritterstaedt
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Dominic Konrad

Papageno, Pamina, Tamino und natürlich die Königin der Nacht: Die Figuren aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ dürfte jedem Operngänger bestens bekannt sein. Und doch ranken sich jede Menge Geheimnisse um das Werk und seine Auseutung. Mit dem Buch „Die Zauberflöte – Mozart und der Abschied von der Aufklärung“ ist jetzt eine weitere hinzugekommen. Autor ist der Züricher Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken.

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Minutiöse Detailarbeit am beliebten Mozart-Klassiker

Drei gewichtige Akkorde – mit denen beginnt die Ouvertüre der „Zauberflöte“. Für Laurenz Lütteken ist an dieser Stelle schon klar: Dieses Werk ist vollkommen ernst gemeint, trotz der komischen Elemente, trotz der manchmal unlogischen Handlung, trotz des Wiener Volkstheater-Singspiel-Charakters. Gleich in der Einleitung stellt der Autor außerdem klar:

Eine leitende Grundüberzeugung dieses Buches besteht [...] darin, dass die ‚Zauberflöte‘ nicht etwa ein Rätsel ist, das einer wie auch immer gearteten Lösung zuzuführen ist, sondern dass das, was an ihr rätselhaft und verwirrend erscheint, einer detaillierten Dechiffrierung bedarf – vor dem Hintergrund des 18. Jahrhunderts und anhand zahlreicher, mitunter entlegener, immer aber aussagekräftiger Quellen.

Also geht Laurenz Lütteken in den ersten Kapiteln seines „Zauberflöte“-Buches erst einmal in die Details. Haarklein nimmt er Elemente der Bühnenhandlung, des Bühnenbilds, der Umstände der Produktion und der Musik unter die Lupe.

Spurensuche in historischen Quellen

Immer wieder zieht er Begriffsdefinitionen aus zeitgenössischen Lexika zu Rate oder wirft einen Blick auf andere Musiktheater-Produktionen im Wien des späten 18. Jahrhunderts. Schon auf Seite 87 lässt er dann plötzlich durchblicken, wohin diese Reise durch die Details am Ende gehen soll:

Gerade daraus wird ersichtlich, dass die Fülle der Erscheinungen in der ‚Zauberflöte‘ offenbar von Anfang an nicht auf eine vordergründige Homogenisierung ausgerichtet ist. Doch repräsentiert die Welt der ‚Zauberflöte‘ nicht einfach eine entfesselte Phantasiewelt, in ihr spiegelt sich vielmehr [...] die Wirklichkeit des späten 18. Jahrhunderts, und zwar vorsätzlich auf eine nicht mehr lineare Weise, also nicht im Sinne eines Abbilds.

Spiegelbild eines radikalen Umbruchs

Laurenz Lütteken versteht „Die Zauberflöte“ als Reflexion auf den Zeitgeist im Wien des späten 18. Jahrhunderts. Erst spät kommt er in seinem Buch darauf zu sprechen, was es denn eigentlich mit dem „josephinischen Zeitalter“ auf sich hat: ein radikaler Umbruch der gesellschaftlichen Strukturen, im Sinne der Aufklärung gelenkt vom Monarchen Joseph II.

Doch schon bald mehren sich in Wien Zweifel an der neuen Gesellschaftsordnung. Das spiegelt sich im Bühnengeschehen der Zauberflöte wider:

Der Zuschauer wird zu einem Beobachter einer unermesslich gewordenen Fülle von Erscheinungen, die ernst und bedeutungshaltig sein wollen, die sich aber einer linearen Auflösung, Zuordnung oder Bewertung durch die Urteilskraft verweigern. Die große Oper erweist sich damit als Reaktion, ja als Antwort auf Zeitumstände, in denen der Mensch als Beobachter dem Geschehen nur noch ausgesetzt ist.

Was ist wahrhaftig, was künstlich?

Mit Figuren wie der Königin der Nacht kann man sich nur schwer identifizieren. Erst ist sie die fürsorgliche Mutter, dann die bösartige Furie. Dasselbe gilt für ihren Gegenspieler Sarastro: Dieser macht einen auf gutmütig und weise und lässt doch Menschen mit Stockhieben bestrafen. Vom seltsamen Vogelmenschen Papageno einmal ganz zu schweigen.

Diana Damrau im purpurnen Gewand mit Krone als drohende Königin der Nacht. (Foto: IMAGO, IMAGO / Michel Neumeister)
Der Hölle Rache kocht in ihrem Herzen: Mit der Königin der Nacht (hier Koloratursopranistin Diana Damrau) kann sich das Publikum nur schwer identifizieren.

Am Ende des Zeitalters der Aufklärung steht also totale Verunsicherung: Was ist wahrhaftig, was künstlich? Besonders deutlich wird das für Lütteken gleich am Beginn der Oper dem ersten Auftritt des Prinzen Tamino.

Diese ‚Arie‘, die immerhin ein 17-taktiges Orchestervorspiel aufweist, dauert gerade eine einzige Minute, der vokale Teil ist nur geringfügig länger als der instrumentale. Ein irgendwie gearteter musikalisch-formaler Zusammenhang soll sich also gar nicht erst entfalten können. Die ersten vier Verse erscheinen zwar wie ein erster Teil, diesem folgt dann aber ein Bruch durch die Ohnmacht und das Verstummen des Helden.

Angenehm lesbar und macht Lust auf eine Neubegegnung mit Mozart

Laurenz Lütteken hält, was er in der Einleitung zu seinem Buch verspricht: Er bietet keine allumfassende Deutung der Zauberflöte oder eine einfache „Lösung“ der Probleme des Werkes an. Er zeigt vielmehr gut nachvollziehbar auf, dass „Die Zauberflöte“ von Mozart und seinem Librettisten Schikaneder bewusst so konzipiert worden ist wie sie ist.

Sie soll ein Abbild vom verunsicherten Zeitgeist auf der Bühne sein – am Ende des leuchtenden Zeitalters der Aufklärung. Von einer Deutung im Sinne der Freimaurerei hält er erstaunlicherweise nichts.

Pamina und Papageno umgeben von Comic-Blumenranken. (Foto: IMAGO, IMAGO / POP-EYE)
Als Pamina (Maureen McKay) den Vogelmenschen Papageno (Dominik Koeninger) trifft, hofft sie schon auf ihre baldige Befreiung.

Mich hat beim Lesen vor allem Lüttekens sorgfältige Detailarbeit überzeugt. Außerdem gefällt mir sein Ansatz, die Zauberflöte mit ihren vielen Widersprüchen und Brüchen aus dem Geist ihrer Zeit heraus zu verstehen.

Ob Mozart und Schikaneder mit ihrem Bühnenstück aber wirklich den „Abschied von der Aufklärung“ zelebrieren wollten, wie es der Untertitel des Buches andeutet, das scheint mir ein bisschen zu weit gegriffen. Dennoch: Laurenz Lüttekens Buch ist angenehm lesbar geschrieben und macht richtig Lust darauf, sich die Oper nochmal unter dem einen oder anderen neuen Gesichtspunkt anzuschauen.

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