Mathias Gredigs neues Buch zur Geschichte der Zoomusikologie

Zur Geschichte der skeptischen Zoomusikologie

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AUTOR/IN
Dieter David Scholz

Buch-Tipp vom 22.8.2018

Mathias Gredig spielt in seinem Buch darauf an, dass die Leier und ihre Musik bei den alten Griechen mit einer Schildkröte symbolisiert wurde und zitiert Alkaios von Lesbos, der die Leier schlichtweg Schildkröte genannt hat. Tatsächlich wurde die Leier oftmals aus dem Korpus der Schildkröte hergestellt. Aber lange vor den Griechen beschrieben die Ägypter Tiermusik. Musikalische Pelikane, Harfenesel, Hyänen, die Borduninstrumente spielen, aber auch musizierende Schakale oder Füchse, Paviane mit Langhalslauten waren für sie selbstverständlich. Mathias Gredig zeigt einige von ihnen in seinem Buch, das einen weiten Bogen schlägt, vom alten Ägypten übers Mittelalter bis ins neunzehnte, ja zwanzigste Jahrhundert.

Sie wirkt nach bis in die berühmten Tierorchesterzeichnungen des französischen Karikaturisten und Malers Grandville. Streichinstrumente spielende Frösche, Heuschrecken mit Blasinstrumenten, ein Rind am Klavier, ein Geige spielender Rehbock, Singvögel mit Mandoline und Tamburin sowie Rassel spielende Heuschrecken geben sich auf diesen Zeichnungen und Lithografien des frühen 19. Jahrhunderts ein fröhliches Stelldichein.

Grandvilles Tiermusikbilder verzeichnen übrigens dreimal so viele musizierende Tierarten wie die des alten Ägypten, so liest man. Das Buch fasziniert durch die Fülle an Belegen künstlerischer, literarischer  und philosophischer Paradebeispiele an Tiermusikdarstellungen.

Auf den antiken Philosophen Pyrrhon von Elis geht die älteste in Europa entstandene Form des Skeptizismus zurück. Skeptizismus, der an allem Rationalen zweifelt, ist die Voraussetzung aller Zoomusikologie. Gredigs Buch versucht einen Überblick der abendländischen Geschichte der vormodernen skeptischen Zoomusikologie zu geben, also der Annahme von Tierklängen oder musizierenden Tieren jenseits von messbaren oder zu definierenden Musiksystemen oder Ästhetiken, jenseits von eindeutigen Definitionen davon, was denn Musik sei und jenseits objektiver Methoden der Analyse, wie sie heute etwa die Bioakustik und die moderne, wissenschaftliche Zoomusikologie anwendet.

Mathias Gredig entwirft ein weit ausholendes Panorama einer gewissermaßen „geheimen Musik“, die für Mensch wie Tier Lust erzeugt und nicht selten als ironischer, spöttischer, aber auch romantisch-utopischer Gegenentwurf zur Menschenmusik zu verstehen ist. Das 19. Jahrhundert vor allem, das Jahrhundert der Maschinen und der industriellen Revolution rief Kritiker und Verächter jener Musik auf den Plan, die das Laute und Mechanische ihres Zeitalters zum Klingen brachten, indem sie beispielsweise die Geräusche der Eisenbahn in die Musik aufnahmen. Gredig unterschlägt in seiner skeptischen Zoomusikologie nicht, welch große Rolle Tiermusik, sowohl wie Menschen musizierende Tiere, als auch tatsächliche Tierklänge in der Menschenmusik spielen.

Dem arbeitet das Buch energisch entgegen. Musikfreunde wissen ohnehin, dass in Richard Wagners Musikdramen singende Drachen und Waldvögel auftreten, dass die Barockoper voll von Nachtigallenliedern ist und dass Jacques Offenbachs heiter-satirisches Musiktheater nicht nur singende Nixen und Kakadus, sondern auch bellende Hunde und summende Fliegen kennt.

Die Welt ist voll von Tiermusik, in der ägyptischen wie griechischen Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit. Der Autor entfaltet vor dem Leser ein interdisziplinäres, leicht lesbares, obgleich sehr gelehrtes, aber eben anregendes kulturhistorisches Panorama des Phänomens Tiermusik. Man darf Mathias Gredigs imposantes Buch, es hat immerhin 500 Seiten, inklusive Bibliografie und Register, gut und gerne die Bibel der Tiermusik nennen. Aber sie will „nicht zum Glauben, sondern zum Denken anregen“ und Freude bereiten. Das ist ihr gelungen.

Buch-Tipp vom 22.8.2018 aus der Sendung SWR2 Cluster

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Dieter David Scholz