Kommentar

Noch Karten für Bayreuther Festspiele: Aufruhr im Bärengehege!

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Albrecht Selge
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad

Die Bayreuther Festspiele machen jetzt auch Werbung auf Facebook, denn es gibt noch Karten im freien Verkauf. Das wäre früher undenkbar gewesen, doch täte etwas dem Wagnerianertreff nicht ein wenig mehr Demokratie gut anstelle des bisherigen Prominenten-Stadls?

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Erschütterter Opernkosmos: Bayreuth hat noch Karten

Die Bären sind wieder los! Genauer gesagt: die „Bärenfell-Fraktion“. Mit diesem lustigen Begriff bezeichnete jüngst ein Spötter jene ewig zeternden und zullenden Wagnerianer, denen alle Regie ein Gräuel ist, wo doch der „Meister“ haargenau aufgeschrieben habe, wie alles zu sein und für immer zu bleiben hat!

Jetzt sah die Bärenfell-Fraktion sich bestätigt, als eine ungeheuerliche Nachricht den Opernkosmos erschütterte: Es sind noch Karten für die Bayreuther Festspiele erhältlich.

Potzblitz und Erzdonner! Wo doch sonst im Bayreuther Ticketshop traditionell jede Lücke verstopft und jede Klinze verklemmt war, um das „Rheingold“ zu zitieren. Und nun wurde sogar eine Werbeanzeige im Internet geschaltet!

R>ichard Wagner Statue vor der Toursiteninformation, Bayreuth (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Daniel Vogl)
Quo vadis, Bayreuth? Dass die Reihen im Bayreuther Festspielhaus leer bleiben ist sehr unwahrscheinlich. Aber ein bisschen mehr Demokratisierung täte dem Wagnerianer-Tempel wohl nicht schlecht.

Weg vom hermetisch abgeriegelten High-Society-Image

„Wo nähm‘ ich redlichen Rath?“, fragt der verzweifelte Zwerg Mime im „Siegfried“. Doch ein abgeklärter Festival-Wanderer könnte zurückfragen: Sind ein paar Restkarten wirklich so ein Problem? Oder wie es der Kritiker Robert Braunmüller in der Münchner Abendzeitung formulierte: „Was ist so schlimm daran, dass die Festspiele versuchen, ein jüngeres und diverseres Publikum jenseits der Stammgäste anzusprechen, die bei der Wagner-Weihe gerne unter sich bleiben?“

Dem stimme ich zu: Viele Jahre galt Bayreuth als hermetische High-Society-Veranstaltung. Auf Dauer wäre dieser Eindruck für Bayreuth existenzbedrohender.

Und dieser Herausforderung begegnen die Festspiele schon seit einigen Jahren mit umfassender Öffnung, bis hin zu Kinderveranstaltungen und Open Airs mit freiem Eintritt. Und mit offenem und kritischem Diskurs auch über die eigene, teils fatale Geschichte. 

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Leere Reihen sind auf dem Grünen Hügel nicht zu erwarten

Zudem entpuppte die ganze Restkarten-Geschichte sich schnell als eine Art Sturm im Wasserglas, oder eben als Aufruhr im Bärengehege. Die Süddeutsche Zeitung ermittelte nämlich, dass die Gesellschaft der Freunde der Bayreuther Festspiele die übrig gebliebenen Karten aus ihrem Vorkaufs-Kontingent nicht wie üblich sieben, sondern erst drei Monate vor Festivalbeginn zurückgab. 

Leere Reihen im Festspielhaus sind also eher nicht zu erwarten, auch wenn man sogar am Aufführungstag selbst noch gewisse Chancen hat, spontan reinzukommen. Ist das nicht in Wagners Sinn demokratischer als exklusiver Promi-Stadl und geschlossene Wagnerianer-Kirche?

Auch Heavy-Metal- und Techno-Festivals kämpfen mit sinkenden Zuschauerzahlen

Von ihrem überkandidelten quasi-religiösen Nimbus haben die Festspiele sich indes teils bewusst verabschiedet, teils ist es eine zwingende gesellschaftliche Entwicklung. Die Zeit bleibt eben nicht stehen, es gibt auch jede Menge andere Kulte.

Dionysisches Ritual können ja auch Techno-Festivals oder Heavy-Metal-Open-Airs sein. Und da lohnt es dann eben, den Blick auch mal auf andere Festivals zu richten, nicht nur im Klassikbereich.

Mehrere große Metal-Festivals etwa wurden kürzlich abgesagt, sowohl auf dem Hockenheimring als auch im Zollernalbkreis. Corona-Nachwehen treffen auf allgemeinen Publikumswandel. Alle haben zu kämpfen.

Andere wären froh über Bayreuths Auslastungsprobleme

Über Auslastungs-Probleme auf Bayreuther Luxusniveau würden andere Festivals sich immer noch glücklich schätzen, zumal dort die ohnehin enormen Preise ja sogar noch erhöht wurden.

Bayreuth bleibt also sowas wie das Wacken im Bärengehege der Klassikfestivals, darum müssen wir uns keine Sorgen machen. Ach ja, und was das alte Reizthema Regie betrifft: Da geht es niemals um Ja oder Nein, sondern es gibt gute oder schlechte.

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