Film-Rezension

Auf kultureller Spurensuche in Osteuropa: The Klezmer Project

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AUTOR/IN
Kai Löffler

Die zwei jüdischen Filmemacher Leandro Koch und Paloma Schachmann wollten eigentlich einen fröhlich-beschwingten Musikfilm drehen, eine Dokumentation über Klezmer-Musik. Aus der wurde aber am Ende ein ganz anderer Film. Nach einer Corona-Zwangspause hatte „The Klezmer Project“ seine Premiere auf der Berlinale 2023 und wurde mit dem Preis für den besten Erstlingsfilm ausgezeichnet. Eine spannende Mischform aus Dokumentation und Spielfilm, aus Roadmovie und kulturwissenschaftlicher Schnitzeljagd.

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„Adentro Mío Estoy Bailando“ oder „The Klezmer Project“

Es ist eine Geschichte über Liebe, über Lügen und über die Suche nach den Spuren einer fast völlig verschwundenen Kultur. Die Geschichte des Totengräbers Yankel und seiner Angebeteten Taibele, vorgetragen auf Jiddisch, spielt in einer lange vergangenen Zeit und an einem fernen Ort.

Sie ist aber auch eine Art Rahmenhandlung für den argentinischen Films „Adentro Mío Estoy Bailando“ übersetzt „In mir tanze ich“, der als „The Klezmer Project“ auf der Berlinale gezeigt wurde.

Spuren des Holocausts in Europa

Hochzeitsfotograf Leandro und Klarinettistin Paloma wollen gemeinsam eine Dokumentation über Klezmer drehen, und dafür nach Europa reisen. „Wollen“ ist in Leandros Fall das falsche Wort, denn der Film ist für ihn vor allem eine Entschuldigung, um Zeit mit Paloma zu verbringen.

Schnell merken die beiden Argentinier aber, dass es auf der Reise durch Osteuropa etwas noch Interessanteres zu entdecken gibt: Spuren und Echos der jiddischen Kultur und Musik, die nach dem Holocaust zwar aus Osteuropa verschwunden ist, aber an vielen Orten Spuren hinterlassen hat. Gleichzeitig werden die Geldgeber zunehmend ungehalten, denn sie hatten eigentlich einen Film über Klezmer bestellt.

Trailer zu „The Klezmer Project“ (Spanisch mit Englischen Untertiteln)

Schon vor sieben Jahren hatten Leandro Koch und Paloma Schachmann die Idee, gemeinsam einen Film zu machen. Und die Entstehungsgeschichte ist der Rahmenhandlung im Film sehr ähnlich.

Tatsächlich sollte der Film anfangs eine Klezmer-Doku werden, und wie im Film hat sich Koch dabei anfangs mehr für seine Kollegin interessiert als für die Musik.

Fiktion mit Blick hinter die Kulissen

Der Film der am Ende daraus geworden ist, ist ein sehr anderer und der bettet geschickt einen Dokumentarfilm in eine fiktive Rahmenhandlung ein. Eine Doku also, die einen fiktiven oder wenigstens fiktionalisierten Blick hinter die Kulissen erlaubt – wie ein Spielfilm über die Dreharbeiten, in dem alle Personen sich selbst spielen.

Diese Rahmenhandlung ist außerdem als modernes Gegenstück der Geschichte von Yankel und Taibele präsentiert. Den Film „The Klezmer Project“ zu nennen ist ein klarer Fall von Etikettenschwindel und passt gleichzeitig perfekt. Denn was der Titel dem Publikum verspricht, ist genau das, was auch die Film-Versionen der Filmemacher ihren Produzenten zusagen, aber eben nicht abliefern. Der Titel ist also ein cleverer Kunstgriff, aber eben auch einer, die falschen Erwartungen weckt.  

Fehlende Tiefe

Leandro Koch und Paloma Schachmann haben sich viel vorgenommen, vielleicht etwas zu viel. Manche Aspekte von The Klezmer Project sind unbefriedigend. Die Rahmenhandlung ist eine gute Idee, gerade als Gegenstück zur jiddischen Sage; dramaturgisch hat sie aber nicht genug Tiefe und läuft am Ende ins Leere.

Viel interessanter sind die dokumentarischen Aufnahmen, in denen Koch und Schachmann hinter die Kamera treten und den osteuropäischen Musikern die Leinwand – und die Tonspur - überlassen. Diese Aufnahmen sind mit Bedacht ausgewählt und geschmackssicher und selbstbewusst gefilmt. Gerade in den ruhigeren Momenten strahlen die Bilder viel Poesie aus. Außerdem werfen die beiden faszinierende Fragen zu Themen wie Kultur, Tradition, Zeit und vor allem Identität auf.

Ein Film für ein fragendes Publikum

„The Klezmer Project“ wurde in Berlin als herausragender Erstling ausgezeichnet, gedreht von zwei jungen Filmemachern mit großer Kreativität und begrenzter Erfahrung. Beides merkt man dem Film an. Die Mischform aus Dokumentation und Spielfilm, aus Roadmovie und kulturwissenschaftlicher Schnitzeljagd ist mutig und spannend, auch wenn eine Hälfte viel besser funktioniert als die andere.

Ein Film über Klezmer ist es nicht geworden, aber ein Film mit vielen Denkanstößen, der mehr an Fragen als an Antworten interessiert ist. Und wenn die Fragen so spannend sind, wer will sich da beklagen?

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