Was für wilde Zeiten: Im Prag der Nachkriegszeit sucht eine junge Künstler-Generation nach neuen Ausdrucksmitteln und einem freien Leben, inmitten stalinistischer Verfolgung. Im Zentrum: Egon Bondy, der Star der Untergrundliteratur. Seine Jugenderinnerungen „Die ersten zehn Jahre“ schildern diese Zeit des Aufbruchs.
Egon Bondy, geboren als Zbyněk Fišer im Jahr 1930, war das Enfant Terrible der tschechischen Literatur. Und ein Vorbild für die jüngere Generation von tschechischen Autoren. Der vom Surrealismus inspirierte und vom Kommunismus geprägte Dichter und Philosoph war ein Radikaler. In seiner Lyrik schreckte er weder vor Trivialem noch vor Fäkalsprache zurück.
Hart und bewusst kunstlos gehalten sind seine Texte. Knapp 40 bislang größtenteils unübersetzte Gedichte kann man nun in einem Buch des Guggolz Verlags kennenlernen. Übertragen wurden sie von dem 1951 in Prag geborenen, deutschsprachigen Schriftsteller Jan Faktor und seiner Frau Annette Simon, einer Tochter Christa Wolfs:
„Meinem Mund entweichen giftige Gase
oder Dickflüssig-Breiiges mal als Phase
Mein Darmrohr gammelt vor sich hin
oder es wächst da was kantig kristallin
Ach mit welch einer üblen Zuneigung
setzt mir zu – meine irre Verstopfung“
Die Hauptsache in diesem Buch aber ist Bondys Anfang der Achtziger verfasster Bericht über seine Prager Untergrund-Zeit zwischen 1947 und 1957, den Eva Profousová ins Deutsche gebracht hat. „Die ersten zehn Jahre“ heißt diese autobiographische Schelmengeschichte eines jungen Mannes, der die Schule in seiner Heimatstadt Prag schmeißt und von seinem dichterischen Rang überzeugt ist. Schon mit dem ersten Satz zeichnet sich Bondy als dandyhaften Bohemien:
„Mit siebzehn, an einem Vormittag etwa Mitte April 1947, saß ich wie mittlerweile fast jeden Tag statt in der Schule auf der Terrasse des Kunstvereins Mánes und vertilgte einen Hackfleischbraten. […] Ich hatte meinen famosen modischen, maßgeschneiderten Anzug aus teurem Stoff und meine berühmten weißen maßgeschneiderten Schuhe an […]. Vermutlich hatte ich bei all der Aufmachung einen kleinen eleganten fünfeckigen roten Stern am Revers stecken, so wie damals bei Parteigenossen und Sympathisanten üblich.“
Ein Marxist, der sich durchs Leben schnorrt und vögelt
Dieser gerade mal der Kindheit entwachsene Bondy ist ein überzeugter Marxist, dann ein glühender Trotzkist, er kritisiert als Linker bald die seit 1948 dem Stalinismus folgende Tschechoslowakei. Und er ist von Anfang an ein Außenseiter, schnorrt und vögelt sich durch das Leben, durchzecht mit vergessenen, hierzulande unbekannten und auch ein paar später berühmt gewordenen Weggefährten die Prager Nächte.
Er legt sich draufgängerisch mit dem immer repressiveren System an – seinen Künstlernamen Egon Bondy gibt er sich aus Protest gegen den offenen Antisemitismus während der Stalin-Zeit. Dass er trotz seiner Schmuggeltouren und allerlei waghalsiger Unternehmungen stets mit einem hellblauen Auge davonkommt, mag an seiner traumwandlerischen Naivität und seiner psychischen Labilität liegen, unter der sich allerdings ein reger philosophischer und spöttischer Geist verbirgt.
„Während der Zeit landete ich auch ein paar Mal in der Klapse, aber das half nicht. (…)“
Bondy vermutet, dass es in den späten 40ern und 50ern nur Kriminelle und Alkoholiker schafften …
„… entspannt auf der Oberfläche jener Zeit zu gleiten – und ich war einer davon; sollte neben mir auch ein Blitz einschlagen, hätte es mich in meinem Alkoholrausch nicht wesentlich gestört.“
Tschechischer Underground hinterm Eisernen Vorhang
Man hat das Gefühl, dass er sich in seinen Erinnerungen sprachlich alle Freiheiten nimmt, ohne provokativ auf die Pauke zu hauen. Er fertigt wunderbare Skizzen der kulturellen Welt und des Undergrounds hinter dem Eisernen Vorhang an, in dem auch Zeitgenossen wie der Autor Bohumil Hrabal ihren Auftritt haben. Hrabal wiederum hat Bondy in seinem Roman „Sanfte Rebellen“ zum heimlichen Helden gemacht.
Vor allem aber spürt man auf jeder Seite der „Ersten zehn Jahre“ die Spannung zwischen dem unbändigen Aufbruchswillen eines jungen, sexuell und literarisch potenten Mannes und einer stalinistischen Tschechoslowakei. Weil hier alle Freigeister auf der sprichwörtlichen Rasierklinge reiten, jederzeit Gefängnis und Schlimmeres drohen, scheint die nervöse Umtriebigkeit noch einmal intensiver:
„Außerdem bildete sich um mich herum allmählich eine Clique von ein paar besonders exquisiten Knalltüten, Herda, der später mehrere Jahre im Knast verbringen sollte […], Ivo Vodseďálek, Hanes Reegen, ein gewisser Říha, sogar Miroslav Lamač, später ein versnobter Kunstkritiker, der sich damals aber noch als Maler versuchte. […] Auch wenn ich immer noch Illusionen über eine mögliche marxistische Richtigstellung hegte, war ich mir über den Charakter unseres Regimes schon im Herbst 1948 im Klaren.“
Die exzentrische Honza Krejcarová gleicht einem Naturelement
Bondy liest und trinkt und schreibt, er holt aber auch das Abitur nach und beginnt mit dem Studium, vor allem probiert er sich aus. Vom Marxismus zum Buddhismus reichen seine Interessen, immer geht es um die Existenz, die gefährdete und schmutzige zumal, wie man an seinen Gedichten sieht.
Die Liebe und die Leidenschaft gehören wesentlich dazu, haben zuweilen etwas Tragikomisches. Mehrere Frauen kreuzen Bondys Weg. Die wichtigste und exzentrischste ist Jana Krejcarová, genannt Honza. Sie ist die Tochter von Milena Jesenská, der Briefpartnerin Kafkas.
„Honza Krejcarová [glich] einem Naturelement […], sie behandelte alles und alle um sie herum mit einer absoluten Gleichgültigkeit, schmerzvoll und faszinierend zugleich. Ihrer Anziehungskraft konnte sich keiner entziehen.“
Mit einem Bein steht Honza aufgrund ihrer kriminellen Energie immer im Knast, nicht selten mit beiden. Sie ist talentiert und nymphomanisch. Wie eine Besessene wirft sie sich Bondy an den Hals, um kurz darauf mit dessen Freund Černý oder irgendeinem anderen durchzubrennen.
Schaut sich aber Bondy anderweitig um, kehrt sie mit Liebesschwüren zurück. Wie er neben diesen erschöpfenden Liebesturbulenzen noch Gedichte und andere Texte schreiben konnte, ist fast ein Rätsel. Honzas Charisma muss ihre Unberechenbarkeit vergessen gemacht haben.
Mit Flöhen die Sowjetunion stürzen
In den Schilderungen jener zugleich gefährlichen wie unbeschwerten Jahre hat man oft das Gefühl, einer Räuberpistole aufzusitzen. Als Bondy Anfang der 50er einige Zeit abgebrannt und illegal in Wien verbringt, bekommt er von einem französischen Offizier Geld, um einen verwegenen Plan zu verwirklichen: Mit zwei Streichholzschachteln voller Flöhe, verspricht Bondy, könne er die UdSSR stürzen.
Die Flöhe würden nämlich mit den liederlichsten Pestarten geimpft, am Roten Platz bei der Parade am 7. November freigelassen und die Ehrengäste auf der Tribüne befallen. Ob er dem französischen Geheimdienst wirklich einen solchen russischen Bären aufbinden konnte – schier unglaublich. Dass er Geld bekam, ist allerdings verbürgt.
Wie ohnehin das meiste, was er in seinen Jugenderinnerungen schildert, der Wahrheit entspricht. Das versichert zumindest Jan Faktor in seinem weit ausgreifenden Nachwort glaubhaft und unter Rückgriff auf verschiedene Quellen. Sollte etwas nicht der Wahrheit entsprechen, so ist es aber zumindest wahrhaftig und großartig erfunden.