Gespräch

Zum Jahrestag der Novemberpogrome: Schützt Erinnerung vor Antisemitismus?

Stand
INTERVIEW
Frauke Oppenberg

„Niemand ist besser im Erinnern als wir!“ So lautete lange ein deutsches Selbstverständnis, in dem auch die Versicherung stand: „Nie wieder Antisemitismus!“ Doch diese Gewissheit hat mittlerweile Risse bekommen. Seit den Terrorangriffen der Hamas gegen Israel gibt es immer mehr antisemitische Übergriffe. Die muslimische Minderheit dafür verantwortlich zu machen, greife zu kurz, sagt die Antisemitismusforscherin Juliane Wetzel im Gespräch mit SWR2.

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Antisemitismus reicht weit in die Mitte der Gesellschaft hinein

Die Rede von einem importierten Antisemitismus lehnt Juliane Wetzel ab. Im Gegenteil: Eigentlich müsste man den muslimischen Antisemitismus selbst importiert nennen, findet sie. Schließlich hätten ihn ursprünglich christliche Missionare aus Europa in den arabischen Raum getragen.

Antisemitismus sei andererseits auch nicht nur ein Problem der Rechten. Auch in der Mehrheitsgesellschaft sei er verbreitet, meint Wetzel: „Es existiert eine völlig falsche Vorstellung davon, wie weit der Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft reicht."

In den Sozialen Medien kursieren verzerrte Informationen über den Holocaust

Ist die deutsche Erinnerungskultur, die kritische Aufarbeitung der eigenen Gewaltgeschichte also gescheitert? „Nein“, sagt Juliane Wetzel. Allerdings müsse Erinnerung immer wieder erneuert werden. „Jede Generation muss neu mit diesem Thema konfrontiert werden“, so die Historikerin.

Auch hätten sich durch die Sozialen Medien die „Grenzen des Sagbaren“ verschoben. Dort kursierten viele verzerrten Informationen über den Holocaust. Vor einer Trivialisierung desselben warnt Wetzel deshalb. Vor allem Lehrerinnen und Lehrer stünden nun vor der Herausforderung, dem zu begegnen.

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