Essay

Sound of Plants – Wie Pflanzen zu Musik werden

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AUTOR/IN
Philine Sauvageot

Blumen, Büsche und Bäume laden ein zum Sehen und Gesehenwerden. So einfach, so verkürzt. Längst werden Pflanzen auch Quelle von Musik. Aber warum sollte der Mensch das wollen: Pflanzen hören? Weil der Klang der Pflanzen auf ganz besondere Weise von ihrer Lebendigkeit erzählt. Das ist nicht Esoterik, sondern eine notwendige Veränderung unserer Weltwahrnehmung.

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Der Mensch flicht seine Umwelt in die Musik ein, seit es Musik gibt. Davon müssen wir ausgehen. Aber einer hat es dann doch auf die Spitze getrieben mit seiner „botanical music“. Der wohl modernste Komponist der Moderne John Cage brachte im Jahr 1976 Kakteen zum Klingen, die wurden zu Perkussionsinstrumenten im Stück „Branches“, Zweige. 

Der Klang knackender Kakteen ist nicht mehr als der Klang knackender Kakteen

John Cage war nicht nur ein leidenschaftlicher Pilzsammler, ein Fan der Mykologie, zweifellos ein Naturfreund. Er schuf auch „freigelassene Musik“, wie sie später genannt wurde. Musik, die keiner Intention folgt. Das genaue Gegenteil der abendländischen Musiktradition, die alles genau plant und kontrolliert. 

John Cages „Nicht-Musik“ ergibt sich, ohne dass sie gewollt wurde. Vogelzwitschern, Stimmengewirr, oder eben das Knacken der Kakteen: Das ganze Leben ist für ihn Musik. Es ist fast ein bisschen schwer das auszuhalten, aber damit stellt das Klingende nichts dar und bedeutet nichts. Es stimmt nur einfach immer mit dem überein, was es ist.

Hören schafft eine direkte Verbindung zur Welt

Wie schrieb der Philosoph Vilém Flusser einmal? „Beim Musikhören fällt die Trennung zwischen Mensch und Welt, der Mensch überwindet seine Haut, oder umgekehrt, die Haut überwindet ihren Menschen.“

Dann müsste doch die maximale Verbindung zur Welt entstehen, wenn wir den Klang der Natur, der Pflanzen hören? Sie also nicht nur anschauen, dann ist da immer Distanz. Sondern ihre Klänge in unseren Körper eindringen, sie uns erfüllen lassen.

Soundkünstler bringen Pflanzen zum Klingen, ganz in der Tradition von John Cage

Wir wissen heute: Pflanzen erzeugen selbst so etwas wie „Töne“. Sie senden elektrische Impulse zwischen Blättern und Wurzeln hin und her. Sie reagieren auf Berührung und Licht. Diese Impulse verwandeln Klangkünstlerinnen und -künstler über einen Synthesizer in musikalische Harmonien.

Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien ZKM hängt so eine Installation von der Decke: die „Akousmaflore“. Wenn man die sensiblen Blätter oder Stengel der Topfpflanzen antippt oder sie streichelt, antworten sie mit einem Klang. Diese sogenannten „Musical Plants“ sind im Grunde die Krönung der John Cage-Methode, authentischer geht es wohl nicht. 

Der Sound of Plants macht nicht jeden zum Klimaschützer

Und damit wären wir bei der Esoterik angekommen. Öko-spirituelle Lebensgemeinschaften wie Damanhur in Norditalien beanspruchen für sich, mit Pflanzen sprechen zu können. Dabei hilft ihnen dasselbe Prinzip: ein handliches Gerät, so groß wie ein Smartphone, dessen Elektroden man an die Blätter festklammert, auch hier werden die elektromagnetischen Signale zu Musik.

Wer mit der Pflanzenwelt kommuniziere, verspricht der Gerätehersteller, würde erkennen, dass Pflanzen intelligente und bewusste Wesen seien. Das wiederum würde uns alle zu Klimaschützern machen. Was man getrost bezweifeln darf. Wobei Wissen das eine ist, die Kenntnis der Studien zur Klimakrise. Und Fühlen das andere. Das Gefühl, dass Pflanzen wirklich leben, wenn man so will: Töne von sich geben und empfindsam sind.

Wenn wir den Pflanzen zuhören, haben wir die Welt noch nicht aufgegeben

Offensichtlich sucht die Menschheit die Verbindung zur Welt, wenn sie sich so für Pflanzen erwärmt, sie zu Musik macht. Was bei aller Skepsis fürs Esoterische doch ein Zeichen dafür ist, dass wir noch nicht ganz verloren sind. Wir haben die Welt noch nicht aufgegeben. Oder, um es mit John Cage zu sagen: „Klänge haben kein Ziel. Sie sind, und mehr nicht. Sie leben.“

14 Videoclips Freiheit als Provokation – John Cages "Song Books" mit dem SWR Vokalensemble

Ein Radsportler hechelt Bach, die Königin der Nacht ist wütend auf eine Paprika, und eine Sängerin meditiert gegen die Maschinen einer Seifenfabrik an. 14 skurrile Videoclips nach Cage mit dem SWR Vokalensemble.

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Philine Sauvageot