Gespräch

Antisemitismus und die postkoloniale Linke: Wenn immer nur Israel Schuld am Konflikt ist

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Doris Maull

An den Universitäten mehren sich die antisemitischen Vorfälle. Der Philosoph Ingo Elbe sieht den Grund dafür in der postkolonialen Theorie. Denn in der Linken gebe es die lange Tradition, Israel als weißen, rassistischen und kolonialistischen Staat wahrzunehmen. Radikale Vertreterinnen und Vertreter des Postkolonialismus sähen in der Hamas darum eine Befreiungsorganisation.

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Antisemitismus im postkolonialen Gewand

Israelfeindschaft habe in der Linken eine lange Tradition, sagt der Philosoph Ingo Elbe. In den 60er und 70er Jahren sei diese Haltung anti-imperialistisch begründet gewesen: „Israel galt als imperialistischer Brückenkopf der USA im Nahen Osten“.

Heute werde Israel als weißer, rassistischer, kolonialistischer Staat begriffen. Radikale Vertretende der postkolonialistischen Theorie sähen in der Hamas eine Befreiungsorganisation, die gegen einen Siedler-Kolonialstaat vorgehe.

Es gebe zum Beispiel die Forderung, man müsse „am Tod des Kolonialherrn arbeiten“. Gewalt ersetze dabei Dialog, Hass ersetze Menschenwürde. Der Holocaust werde zu einer Variante von Kolonialverbrechen erklärt.

Wenn immer nur Israel die Schuld am Konflikt trägt

Der islamistische Antisemitismus werde ausgeblendet. An den Universitäten werde sowohl in einigen Studierenden- als auch in Dozentenkreisen die Ursache für die Gewalt allein Israel zugeschoben.

Aus dieser Sicht, erklärt Ingo Elbe in SWR2, hätten 75 Jahre Vertreibung, 56 Jahre Besetzung, 16 Jahre Blockade des Gazastreifens zu einer Spirale der Gewalt geführt. Dabei werde nicht gesehen, dass die arabischen Länder bereits bei der Gründung Israels den Staat nicht akzeptiert hatten. Dieses einseitige Denken finde man auch in der Wissenschaft, so Elbe.

Bewusstsein für postkoloniale Theorie schaffen

Ingo Elbe veröffentlicht im März sein Buch „Antisemitismus und postkoloniale Theorie – Der progressive Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung."

In SWR2 unterstreicht er, dass es wichtig sei, öffentlich über die postkoloniale Theorie zu sprechen, um eine Sensibilität dafür zu schaffen. Leider setze sich das postkoloniale Denken aber immer mehr durch, wenn es um die Bewertung des Nahost-Krieges gehe, sagt Elbe.

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