Meister in Porträt und Akt

„Modigliani. Moderne Blicke“ in der Staatsgalerie Stuttgart: Eine Welt im Umbruch

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Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt (Foto: SWR, Patricia Neligan)

Mit seinen Werken löst er zu Lebzeiten einen Skandal aus - heute werden Amedeo Modiglianis Aktgemälde für astronomische, dreistellige Millionenbeträge versteigert. Die Staatsgalerie Stuttgart will mit ihrer Ausstellung „Modigliani. Moderne Blicke“ den Ausnahmekünstler in all seinen Facetten zeigen - jenseits gängiger Erzählungen, die den Maler und Bildhauer als Frauenheld und Trunkenbold beschreiben. Vor allem im Vergleich mit Zeitgenossen wird deutlich: Modigliani dokumentiert in seinen Bildern einen neuen, selbstbewussten Typ Frau. Und: mit neuem Wissen erzählen seine Bilder in der Ausstellung ganz neue Geschichten.

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Modiglianis Akte mit sichtbarer Körperbehaarung - 1917 ein Skandal!

Ein elegant geschwungener, nackter Frauenkörper auf rotbraunem Grund – der Kopf gebettet auf ein weißes Kissen. Der Blick der Frau schweift in die Ferne. Trotz der verführerischen Pose scheint sie bei sich zu sein. Der „Liegende Frauenakt auf weißem Kissen“ von 1917 zählt zu den Höhepunkten der Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart. Zu seiner Zeit schaffte es der Italiener mit seinen Aktgemälden, die Pariser Kunstwelt in Aufregung zu versetzen.

So umwehte die einzige Einzelausstellung, die Modigliani überhaupt zu seinen Lebzeiten hatte, 1917 in der kleinen Pariser Galerie bei Berthe Weill, ein Skandal, weil die dort ausgestellten Akte auf polizeiliche Anweisung entfernt werden mussten, wie Kurator Jens-Henning Ullner erzählt: „Die Leute stießen sich vor allem an der sichtbaren Körperbehaarung der dargestellten Damen.“

Schambehaarung und Haare unter den Achseln – damit könnte Modigliani auch heute noch manche Gemüter erhitzen. Aber wirklich bemerkenswert ist, dass die nackten Frauen nicht als Objekt dargestellt und den Blicken des Betrachters schutzlos ausgeliefert sind, sondern, dass sie selbstbewusste Blicke zurückwerfen.

Modigliani porträtierte die androgyne neue Frau am Anfang des 20. Jahrhunderts

Die Ausstellung hat es sich zum Ziel gesetzt, erstmals auch Porträts von Frauen in Modiglianis Werk in den Fokus zu rücken. Der Künstler porträtiert eine „neue Frau“, wie er sie im Paris Anfang des letzten Jahrhunderts erlebt hat.

Forum Meister in Portrait und Akt – Wie aktuell ist die Kunst von Amedeo Modigliani?

Marie-Christine Werner diskutiert mit
Dr. Nathalie Lachmann, Kuratorin der Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart
Prof. Dr. Markus Müller, Leiter des Kunstmuseums Pablo Picasso in Münster
Eva-Susanne Schweizer, Repräsentantin für Baden-Württemberg vom Auktionshaus Christie' s

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Er stellt Künstlerinnen, Schriftstellerinnen oder andere Persönlichkeiten dar, die die Pariser Szene prägen, wie etwa die Buchhändlerin Elena Povolozky, die Modigliani in braunem Mantel, mit weißem Hemd porträtiert. Die Lippen sind fast kritisch geschürzt, der Blick bestimmt.

Sie sei typisch für die modernen Frauen dieser Zeit, erklärt Kuratorin Nathalie Lachman „Sie hat die Haare sehr kurz geschnitten, sie trägt sehr maskuline Kleidung – überhaupt erscheint sie sehr androgyn. Und auf den ersten Blick muss man bei vielen dieser Frauen schauen, handelt es sich jetzt um eine Frau oder um einen Mann?“

Ein Außenseiter, der aber auch mit anderen Künstlern in den Dialog trat

Modigliani gilt heute als einer der bekanntesten Vertreter der Pariser Bohème im Vorfeld und Verlauf des ersten Weltkrieges. Der Italiener kam 1906 in die französische Hauptstadt und tauchte dort in das Zentrum der Avantgarde ein. Er traf und porträtierte Künstler wie Pablo Picasso oder Diego Rivera. Dabei ließ er sich zwar vom Zeitgeist inspirieren, blieb aber seinem sehr eigenen Stil treu.

Modigliani wird oft als Außenseiter unter seinen Zeitgenossen bezeichnet. Die Ausstellung in der Staatsgalerie zeigt aber auch Porträts Modiglianis im Dialog mit deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstlern wie Paula Modersohn-Becker oder Egon Schiele – dabei finden sich Übereinstimmungen. Zum Beispiel in der Darstellung von Kindern, die versuchen, deren Wesen zu erfassen, statt sie wie früher als pausbäckige Frohnaturen zu zeigen, wie Kurator Ullner erklärt.

Das Bild von Modigliani als trunkener Bohémien ist immer noch verbreitet

Um Modiglianis Leben ranken sich viele Legenden. Er wurde nur 35 Jahre alt – unter anderem litt er an Tuberkulose, wegen der er auch die Bildhauerei aufgeben musste. Weil so wenig gesichert bekannt ist über sein kurzes Leben, gibt es umso mehr Gerüchte über Drogenkonsum und Affären.

Schon zu seinen Lebzeiten sei die Geschichte Modiglianis als trunkener Bohémien verbreitet gewesen, erklärt Jens-Henning Ullner, sie kam bei den Leuten an. Daher habe sie sich auch so lange gehalten, zum Beispiel in Büchern oder Kinofilmen über den Künstler. „Wir wollen versuchen, dagegen zu arbeiten mit dieser Ausstellung“, sagt der Kurator.

Die Ausstellung macht deutlich, dass Modigliani die Rolle als Außenseiter der Moderne so nicht verdient hat. Trotz seines Faibles für die Renaissance übersetzt er doch alles durch seinen „modernen Blick“, zeigt eine Welt im Umbruch. Es ist Modiglianis moderner Blick vor mehr als hundert Jahren, aber auch unser moderner Blick mit neuem Wissen auf den Bildern, die uns heute ganz neue Geschichten erzählen können.

Trailer der Ausstellung

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