Belgisches Poster für le Casino de Cabourg (1896) (Foto: IMAGO, Artokoloro)

Hörspiel in drei Teilen

Sodom und Gomorrha

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AUTOR/IN
Marcel Proust

Nach dem gleichnamigen Roman von Marcel Proust

Was verbindet uns mit dem dekadenten Adel des ausgehenden 19. Jahrhunderts? Das ist eine oft gestellte Frage. Was soll uns der Untergang einer fernen Epoche angehen und ein Buch, das die Lebensgeschichte eines Mannes erzählt, die darin gipfelt, dass er ein Schriftsteller sein möchte? Dazu noch in einem Erzähltempo und einer essayistischen Beschreibungsgenauigkeit, die unser schnelllebigen Zeit so fremd sind?

Die Form der Chronik dient modernen Fragestellungen

Marcel Prousts Erzählwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ erzählt vordergründig über die französische Belle Epoque um 1900. Er ist kein Chronist seiner Zeit wie Balzac oder Zola. Das historische „Setting“ dient ihm dazu, moderne Fragestellungen literarisch zu umkreisen, die auch heute noch aktuell sind: die Subjektivität der Erinnerung, die Unendlichkeit der Selbstreflexion über die eigene Existenz, der Zerfall der angeblich einen Identität in viele widersprüchliche „Ichs“, die Abhängigkeit vom sexuellen Begehren und Geschlechter-Disponiertheit wie deren Widerhall im privaten wie gesellschaftlichen Maskenspiel.

Der „perfekte Ratgeber für alle Lebenslagen“

So ist es kein Wunder, das viele Proust-Liebhaber diesen angeblich schwierigen Roman jedem ans Herz legen möchten. Gerade für unsere heutige Zeit. Der Schriftsteller Alain de Batton notierte: „Prousts ‚Recherche‘ ist nicht nur ein grandioser Romanzyklus, sondern auch der perfekte Ratgeber für alle Lebenslagen.“ Proust könnte so auch als Servicedienstleister verstanden werden, zu Fragen bei Eifersucht, Trennungsschmerz, Geschlechtervorlieben, die Vorteile vom Leben in Metropolen oder auf dem Lande, Karriereplanung, Angst vor Endlichkeit und Tod. Das ist eine legitime Perspektive auf diesen Roman, um den sich Regalwände von unsinnlicher Sekundärliteratur türmen.

Der vierte Roman aus Prousts „À la recherche du temps perdu“ trägt den Titel „Sodom und Gomorrha“. Im Alten Testament sind mit diesen Namen Städte benannt, die Gott unter einem Regen aus Feuer und Schwefel begrub, weil sie sich der Sünde hingegeben haben.

Er spielt zwischen ca. 1890 und 1912 in Paris und im fiktiven mondänen Badeort Balbec in der Normandie. Hier entdeckt der Erzähler Marcel die Welten von Sodom als der der männlichen und Gomorrha als der der weiblichen Homosexualität – oder Inversion, wie Proust es nennt. Er ist dabei ein gnadenloser Erzähler und seziert die Personen seines Romans, zu denen auch der Ich-Erzähler Marcel gehört, auf tragikomische Weise.

Proust bricht mit dem klassischen Erzählen einer Handlung

Der Roman „Sodom und Gomorrha“ gilt aber nicht nur als Meisterwerk der Moderne, weil Proust hier das Thema gleichgeschlechtliche Sexualität ins Zentrum rückt. Das gab es in der französischen Literatur, die einen Diderot und de Sade kennt, schon früher. Hier wird vielmehr das klassische Erzählen einer Handlung aufgekündigt zugunsten eines radikalen Schreibansatzes. Proust kennt keine absoluten Wahrheiten mehr, die linear dargestellt werden. Er setzt dafür die dezentral um sich kreisende Subjektivität und Widersprüchlichkeit des Erinnerten als autonome ästhetische Wahrheiten.

Die Hörspielfassung

Ein Wort zur Hörspielfassung: Sie verzichtet bewusst auf die bisher als Referenz geltende Übersetzung von Rechel-Mertens und Keller. Vielmehr nutzt sie die in den Stilregistern variablere und modernere Neuübersetzung von Bernd-Jürgen Fischer, die dem Originaltext in seiner Syntax und Brüchen näher erscheint. Sie wurde 2016 im Reclam Verlag abgeschlossen.

Für die Musikeinspielung konnte das Ensemble Modern gewonnen werden; und als Sprecher u. a. Michael Rotschopf, Lilith Stangenberg, Gerd Wameling. Stefan Konarske, Matthias Habich und Corinna Kirchhoff.

musée d'orsay portrait de marcel proust de jacques-emile blanche (Foto: picture alliance / MAXPPP - Sylvestre)
Marcel Proust

Marcel Proust (1871–1922) schrieb seine über 7000-seitige „À la recherche du temps perdu“ von 1908 bis zu seinem Tod 1922. Die ersten vier Romane erschienen zu Lebzeiten, die restlichen drei posthum. „Sodom und Gomorrha I“, das vierte Buch, wurde in zwei Bänden 1920 und 1921 veröffentlicht.

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Marcel Proust