Die Theaterautorin Svenja Viola Bungarten erzählt in ihrem Stück „Die Zukünftige“ am Nationaltheater Mannheim eindringlich, wie eine Familie angesichts der drohenden Klimakatastrophe zerbricht. Die Kinder erkennen, dass die Eltern sie belogen und verlassen haben. „Die Zukünftige“ ist keine pseudo-realistische Geschichte, sondern ein raffiniert gestricktes, grotesk-komisches Schauspiel, rasant inszeniert von Theresa Thomasberger.
Die Zahnarztpraxis der Eltern läuft gut – dann gibt es Lieferengpässe
Es ist dunkel, nur ein blasser Mond scheint und ein kleines, schiefes Haus steht auf der Bühne. Zwei Mädchen treten auf, mit langen Zöpfen, rosa Tops und kurzen Röcken, sie halten sich an den Händen und sehen verängstigt aus: Die Zwillinge Emilie und Henri oder sind sie „Hänsel und Gretel“?
Die beiden gehören zu einer deutschen Mittelstandsfamilie. Die Eltern hatten eine gut gehende Zahnarztpraxis, doch dann gab es plötzlich keine Betäubungsmittel mehr – Lieferengpässe, Rezession, die Welt steht am Abgrund, weil das Klima kollabiert: Hitze, Waldbrände, Bergrutsche, Sturmfluten.
Die „rettende Idee“ – das Haus anzünden!
Aber noch will die Familie das alles nicht wahrhaben: Als die Schuldenlast immer erdrückender wird, haben die Eltern eine „rettende Idee“ – sie zünden ihr eigenes Haus an. Und schicken ihre Mädchen währenddessen zum Spaziergang in den Wald. Doch der Versicherungsbetrug fliegt auf.
„Doppeltes Lottchen“ – Rollentausch nach dem Vorbild Kästners
Die Familie zerbricht, das eine Mädchen bleibt beim Vater, das andere geht zur Mutter. Die eine studiert erfolgreich Medizin, die andere pflegt den depressiven Vater. Nach 10 Jahren treffen sie sich unerwartet wieder und beschließen, ihre Leben zu tauschen – Erich Kästners „Doppeltes Lottchen“ lässt grüßen. Doch die neuen Rollen enthüllen bisher sorgsam gehütete Geheimnisse über die Eltern.
Bittere Erkenntnis der Kinder: Die Eltern konnten oder wollten sie nicht beschützen
Svenja Viola Bungarten beschreibt in ihrem Stück „Die Zukünftige“ eindringlich, was mit einer Familie passiert, die zerbricht weil um sie herum die Welt kollabiert. Die bittere Erkenntnis für die Kinder: Ihre Eltern konnten oder wollten sie nicht beschützen, haben keine Verantwortung übernommen, sondern haben sie belogen und verlassen.
Der Vater flüchtet in die Krankheit, die Mutter nach Kanada
Der Vater hat sich in seine Krankheit geflüchtet und die Mutter ist nach Kanada abgehauen, wo es noch Wälder und sogar Schnee gibt. Svenja Viola Bungarten streut in ihren Text immer wieder Märchenmotive ein: Hänsel & Gretel, Frau Holle mit Goldmarie und Pechmarie, Dornröschen. Ähnlich wie in Märchen will auch sie unsere tiefsitzenden Ängste ansprechen, die Viele angesichts der drohenden Klimakatastrophe verspüren – aber damit sehr unterschiedlich umgehen.
Ein raffiniert gestricktes, alptraumwandlerisches Familiendrama
Svenja Viola Bungarten macht aus dem Endzeit-Szenario keine pädagogische, pseudo-realistische Geschichte, sondern ein raffiniert gestricktes, alp-traumwandlerisches Familiendrama. Und die Regisseurin Theresa Thomasberger verpackt das alles in ein rasantes, oft grotesk-komisches Schauspiel. Wobei sie die sechs Schauspielerinnen und Schauspieler abwechselnd in alle Rolle schlüpfen lässt. Denn wer weiß schon, wer hier wessen Geschichte in welcher Version erzählt.
Am Ende scheint es nicht sicher, ob die Familie das alles nur geträumt hat – aber in ihrem Wohnzimmer riecht es verdächtig nach Feuer…
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