SWR1 Sonntagmorgen

Notfallseelsorge: Wichtiges Ehrenamt, das vielen Menschen helfen kann

Stand
Autor/in
Cüneyt Özadali
Redakteur/in
Michael Lehmann

Nach Bränden oder Verkehrsunfällen kümmern sich die Notfallseelsorger um die seelischen Wunden von Verletzten oder traumatisierten Menschen. Sie betreuen aber auch Einsatzkräfte.

Ihre Arbeit ist wichtig. Vor ein paar Tagen gab es einen Alarm. Ein Brand in Stuttgart-Feuerbach. Die zuständige Feuerwehr benachrichtigt am frühen Morgen Andreas Groll. Der katholische Diakon ist leitender Notfallseelsorger der Feuerwehr Stuttgart. Es waren wohl Menschen eingeschlossen und andere mussten evakuiert werden. „Wir waren zu dritt im Einsatz, und dann teilen wir uns auf, wer sich um wen kümmert, bis die Situation abgeklärt ist und die Kriminalpolizei dann eben entsprechend informiert, wie es weitergeht.“, erzählt Diakon Groll gegenüber SWR1. 

Zügige Betreuung mit Fingerspitzengefühl  

Wichtig sei zunächst behutsam mit den betroffenen Menschen in Kontakt zu treten.  „Das Erste, was ich zu den Menschen immer sage, ist, ich bin jetzt für Sie da, oder wir sind jetzt für Sie da. Wir bleiben so lange bei Ihnen, bis Sie die Situation alleine weitertragen können, bis die entsprechenden Hilfssysteme da sind“, erklärt Kroll.  Verwandte, Freunde oder Nachbarn würden benachrichtigt. Meistens sind die Betroffenen überfordert und wissen nicht, wie es nach einem Schicksalsschlag weitergehen soll.  

 

Notfallseelsorge vor Ort

Einsatzdienst - ein interreligiöses Team  

Bei der Notfallseelsorge der Feuerwehr Stuttgart sind 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im aktiven Einsatzdienst. Im neuen Ausbildungszug sei eine Alevitin und schon länger gebe es einen muslimischen Seelsorger. „Ich glaube, das ist sogar der erste muslimische Seelsorger, der die komplette Ausbildung innerhalb der Kirche gemacht hat. Er hat sich also nicht gescheut, auch die kirchlichen Seelsorge-Kurse mitzumachen. Und da haben wir alle davon profitiert, nicht nur er, auch von seinen Erfahrungen eben mit seinem muslimischen Glauben. Das war sehr bewegend“, erzählt Diakon Groll.   

 Professionelle Ausbildung - Qualifiziertes Ehrenamt 

Die Ausbildung ist sehr umfangreich und dauert in der Regel eineinhalb bis zwei Jahre. Für dieses Ehrenamt muss man sich qualifizieren. Es sind rund 340 Ausbildungsstunden nötig. Es gibt viele Unterrichtseinheiten zu Fragen wie zum Beispiel: „Wer sind denn die Einsatzleiter? Wer hat was zu sagen, wie läuft die Befehlshierarchie? "Das ist wichtig, weil bei Katastrophen und Einsatzfällen immer streng hierarchisch gearbeitet wird" erklärt Groll. In vielen Rollenspielen übt man all das. Die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei pastorales Personal, sagt Groll. Sie kämen aus den Kirchen und seien dort auch hauptamtlich oder ehrenamtlich tätig, ähnlich wie er. Groll arbeitet als Diakon in einer Kirchengemeinde.   

Hilfe für Helfer

Auch Helfer brauchen eine seelische Unterstützung. Nach jedem Einsatz wird ein kollegiales Gespräch geführt. „Wie hast du das empfunden?“ „Wie ging es dir da?“ „Ist etwas offengeblieben?“ „Was hätte man anders machen können?“ „Es ist schon ein wichtiges Ritual, aber nicht selten haben wir dann doch noch einen Knoten auf der Brust“ betont Groll. Und dann gebe es noch die Supervision. Es sei sehr bewegend, wie die Menschen über ihre Einsätze ganz offen erzählten, manche würden sich Vorwürfe machen, dass sie was hätten besser machen können. „Und das ist manchmal nicht einfach. Und da muss jeder so ein bisschen seinen Weg finden.“, sagt Groll.  Bei ihm ist es der Altardienst am Sonntag. „Spätestens dann löst sich mein Knoten in der Brust. Das ist für mich bewegend“.  

 

Notfallseelsorger bei ihrer Arbeit

„Wenn ich merke, dass der Herrgott jetzt mir was abnimmt. Ich kann ihm sagen, ich werfe jetzt meine ganze Last Dir hin auf den Altar und tue du, was du damit machen willst. Das ist etwas ganz Neues, was ich auch gelernt habe, während der Ausbildung zum Diakonat“

Fehlende Notfallseelsorge für Bestattungsfachkräfte 

Menschen, die in Bestattungsinstituten arbeiten, sind einiges gewohnt. Doch es gibt Situationen und Anblicke, die auch sie sehr belasten können. Was fehlt, ist eine professionelle Anlaufstelle, falls es dem Einzelnen zu viel wird. „Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann zurückkommen aus dieser schweren Situation, die sie dann erlebt haben, brauchen sie eine Entlastung" sagt Bestatterin Ülkü Knapp aus Heilbronn. Daher findet sie es sehr wichtig „in unserer Branche eben Hilfe zu bekommen“.  

Dringender Handlungsbedarf  

Der Innung des Bestatter-Handwerks ist das Problem der fehlenden Notfallseelsorge und Supervision bekannt. Immerhin ist der Umgang mit Belastungen Teil der Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. Im Bereich der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung, wird Trauer-Psychologie unterrichtet. „Da geht es nicht nur um die trauernden Personen, die einen Trauerfall haben. Da geht es auch um die Personen, die mit der Trauer umgehen. Es ist allerdings halt nur eine fünftägige Unterweisung. Mehr ist bisher nicht da“, erklärt Baden-Württembergs Landesinnungsmeister Frank Friedrichson. Eine überbetriebliche professionelle Notfallseelsorge kann das aber natürlich nicht ersetzen. 

Der Standpunkt in unserer Sendung Kein Lohn mehr am 1. Tag. Von Leonore Kratz

Anmoderation: Kein Lohn mehr am ersten Tag einer Krankschreibung - mit dieser Empfehlung eines sogenannten Karenztages löste Allianz-Chef Oliver Bäte diese Woche eine heftige Diskussion aus. Meine Kollegin Leonore Kratz hält von dieser Idee nur wenig.
In der Corona-Pandemie haben wir unter vielem gelitten. Aber einen Vorteil hatte sie: Wir haben endlich gelernt, dass man auch noch drei Tage nach dem ersten Niesen ansteckend sein kann. Ich erinnere mich noch, wie mir früher schniefende und hustende Kolleginnen im Büro gegenübersaßen. Das hat sich in meiner Wahrnehmung seit der Pandemie verändert: Wer krank ist, bleibt eher mal daheim und kuriert sich aus.
Und jetzt also wieder Rolle rückwärts? Denn genau das würde die Einführung eines Karenztages, für den es keinen Lohn gibt, doch bedeuten. Viele würden sich krank zur Arbeit schleppen, weil sie das Geld brauchen. Und würden damit sich selbst schaden und den Kollegen, die sie möglicherweise anstecken. Muss das wirklich sein?
Es gibt so viele Argumente, die gegen einen unbezahlten Karenztag sprechen. Allen voran ist es kein gutes Signal, den Arbeitnehmenden zu unterstellen, sie würden blaumachen oder „krankfeiern“. Das ist nämlich gar nicht so oft der Fall, sagt Ärztepräsident Klaus Reinhardt. Außerdem ist das Ganze eine Milchmädchenrechnung. So viel Geld spart ein Tag ohne Lohn nicht ein. Aus Sicht der Unternehmerverbände sorgt er vor allem für mehr Bürokratie.
Allianz-Chef Oliver Bäte hatte den Karenztag eingefordert, weil der Krankenstand in Deutschland höher sei als in anderen europäischen Ländern. Im Schnitt waren es im Jahr 2023 15,1 Arbeitstage. Aber diese Zahl muss man sich mal genauer anschauen. Dahinter steckt nämlich vor allem ein statistischer Grund. Denn seit es die elektronische Krankschreibung gibt, wird jedes Attest automatisch an die Krankenkasse weitergeleitet. Und das habe zu einem sprunghaften Anstieg in der Statistik geführt, beschreibt eine Studie der Krankenkasse DAK.
Unterm Strich ist der unbezahlte Karenztag also eine Idee, die nichts besser macht. Er spart nur wenig Geld ein. Stattdessen werden sich wieder mehr Menschen schniefend in Büros oder Werkstätten zwingen. Darauf habe ich so gar keine Lust.

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Cüneyt Özadali
Redakteur/in
Michael Lehmann