Schultüten zum Schulbeginn der Erstklässler (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)

SWR1 Sonntagmorgen

Gottesdienste zur Einschulung – noch zeitgemäß?

Stand
AUTOR/IN
Hans Michael Ehl

Nach den Sommerferien beginnt der "Ernst des Lebens". Zur Einschulung werden mancherorts Gottesdienste gefeiert, obwohl weniger als die Hälfte der Menschen einer Kirche angehört.

Wichtiger Wendepunkt für Kinder und Eltern

Im Leben von Kindern und Familien ist der Beginn der Schulzeit eine wichtige Wegmarke. Rund 140.000 Erstklässler werden in diesem Jahr in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eingeschult. Für die Kinder ist dabei alles neu. Neue Lehrerinnen und Lehrer, eine ungewohnte Lerngruppe, eine fremde Umgebung und unbekannte Abläufe sind eine große Herausforderung. Auch für Eltern kann der Schulanfang eine Umstellung sein. Für manche spielen auch eigene Erfahrungen mit der Schule eine Rolle. Dazu kommt vielfach die Sorge, ob ihr Kind den Erwartungen des Schulsystems gerecht wird. Auch müssen Eltern lernen, ihren Kindern den entsprechenden Raum für eigene Erfahrungen zu geben.

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Segen für den Lebensweg

In manchen Regionen ziehen Kinder, Eltern und Lehrer vor Unterrichtsbeginn in eine Kirche zum Einschulungsgottesdienst. Sind solche Gottesdienste noch zeitgemäß, wenn inzwischen weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland einer der beiden großen Kirchen angehört? Kirchenvertreter werben für solche Einschulungsgottesdienste. Die besonderen Feiern könnten Kindern und Eltern deutlich machen, dass sie unter einem besonderen, göttlichen Schutz stehen – vor allem, wenn Kinder im Lauf des Gottesdienstes gesegnet werden. Menschen, die einer Religion eher skeptisch gegenüberstehen, sehen sich und ihre Kinder unter Druck. Die Kirchen würden solche Veranstaltungen als Werbung für die eigene Sachen missbrauchen, heißt es.

Gottesdienst zum Schulanfang für Erstklässler (Foto: IMAGO, Bildnummer: 0062171582)
Gottesdienst zum Schulanfang für Erstklässler

Einladende Feiern für alle

Diese Kritik an den Kirchen lässt der Religionssoziologe Detlev Pollack von der Universität Münster im SWR1-Gespräch nicht gelten. "Ich glaube nicht, dass die meisten der Einschulungsgottesdienste so aussehen, dass da wirklich die Kinder zur Kirche rübergezogen werden sollen, sondern ganz typisch finde ich eigentlich dies, dass man das Ganze einladend gestaltet auch für die Kinder, die mit dem Glauben der Kirche nichts anfangen können oder die einen anderen Glauben haben", so Pollack. Die religiöse Toleranz und die Bereitschaft, das Ganze dialogisch anzulegen, sei inzwischen sehr stark gewachsen.

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Religiöse Feiern an Übergangsphasen im Leben

Grundsätzlich hält Pollack solche Einschulungsgottesdienste für sinnvoll. Es sei eine Situation, "in der die Kinder unruhig sind, manche auch aufgeregt, manche wahrscheinlich auch ängstlich, andere vielleicht weniger ängstlich". Da sei eine Feier oder ein Gottesdienst gut, um die Kinder in die neue Lebenssituation einzuführen. Es handle sich, so Pollack, um einen Übergang von einem Status zum nächsten. "Wenn man erwachsen wird, da gibt es die Konfirmation, wenn Kinder geboren werden, da gibt es die Taufe. Das ist immer eine Gelegenheit für die Religionen aufzutreten." Eine solche Übergangsphase sei im Leben der Kinder eben auch die Einschulung.

Plädoyer für integrative Feiern

Der Religionssoziologe Detlev Pollack plädiert im SWR1-Gespräch für integrative Feiern zur Einschulung. Solche Feiern müssten "auf die Haltungen, auf die weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen derjenigen eingehen, die der eigenen Religionsgemeinschaft nicht angehören". Insofern sei es ganz wichtig, dass man nicht versuche, diese Gelegenheit zu nutzen, um zu missionieren, so Pollack.

Eine Schultüte liegt während der Einschulungsfeier an der Grundschule auf der Bank.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)
interreligiöse Einschulungsfeier in einer Turnhalle

Vielfalt an Schulen anerkennen

Seit Jahren ist die Zahl von evangelischen oder katholischen Kindern rückläufig. Immer mehr Kinder aus muslimischen oder jüdischen Familien leben in Deutschland. Dazu kommen Familien, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören und die religiösen Feiern skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen. Manche Schulen tragen der Vielfalt von Familien Rechnung, indem sie eine Einschulungsfeier in einer Turnhalle oder der Aula der Schule begehen, manchmal mit Beteiligung von Vertretern unterschiedlicher Religionen und Konfessionen.

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Hans Michael Ehl