Den damaligen Humor würde man Kindern heute kaum noch zumuten, meint Andreas Platthaus, Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Platthaus ist "Donaldist" und ein absoluter Comic-Fan.
SWR1: Früher haben die Eltern oft gesagt, dass Comics lesen nicht das Beste fürs Gehirn ist. Wie haben Sie das erlebt?
Andreas Platthaus: Viel besser. Das Glück war, dass mein Vater schon als Student in den 50er Jahren begeistert Micky-Maus-Hefte gelesen hatte und überhaupt keine Sorgen hatte, dass wenn er das seinen Kindern gibt, sie damit kein Vergnügen haben würden. Und genau so kam es ja dann auch.
SWR1: Waren denn die früheren Disney-Filme gar nicht so für Kinder gemacht, sondern eher nur für Erwachsene?
Platthaus: Die ganz frühen Kurzfilme waren klar auf ein erwachsenes Publikum ausgerichtet. Aber das Interessante war, dass diese Micky-Maus-Filme auch bei Kindern großartig ankamen, obwohl die eigentlich einen Humor hatten, den man heute Kindern wohl kaum noch zumuten würde. Da geht es hart zur Sache. Da sind teilweise auch sehr sexuelle Anspielungen mit drin.
Aber damals verfing das als Vorfilme zu den großen Hauptfilmen im Kino exzellent. Die Kinobetreiber haben das relativ schnell gemerkt und wollte Disney natürlich auch. Und darum wurde bei den abendfüllenden Filmen viel mehr auf Kinder- und Jugendtauglichkeit geachtet.
Dass wir die Figuren von Micky Maus heute so präsent haben, liegt nicht an den Filmen, sondern daran, dass sie auf Armbanduhren, Bettwäsche und Porzellan-Nippesfigürchen verwertet wurden.
SWR1: Walt Disney muss unglaublich mutig gewesen sein, volles Risiko zu gehen und zu investieren in etwas, bei dem man gar nicht wusste, ob das ein Erfolg wird.
Platthaus: Das stimmt. Das ist vielleicht auch das aller Bemerkenswerteste, denn er war natürlich ein fantastischer Organisator, aber gar kein so guter Zeichner. Aber die Risikobereitschaft von ihm ist wirklich geradezu ausgeprägt amerikanisch. Er hat immer das eingenommene Geld sofort ins nächste Projekt gesteckt. Im Regelfall war das nächste Projekt viel, viel teurer. Das heißt, er musste sich unglaublich verschulden und hoffen, dass das irgendwie wieder reinkommt.
Er ist immer wieder auf neue Ideen gekommen. Es hat ja mit dem Filmen nicht aufgehört. Er hat die Vergnügungsparks, Disneyland und Disney World begründet. Er hat wirklich alles für sich entdeckt, von dem er glaubte, damit könnte man seine große Leidenschaft des Filmemachens finanzieren. Und es hat zu seinen Lebzeiten fast alles funktioniert.
SWR1: Gehen Disney so langsam die Ideen aus? Es sind ja Marken wie Star Wars oder Marvel gekauft worden, die regelrecht gemolken werden, sagen zumindest die Kritiker. Oft löst das bei den Fans Enttäuschung aus. Geht es da nur noch ums Geld?
Platthaus: Bei diesen Sachen ja. Der Kauf von Marvel und Star Wars ist natürlich genau die Kompetenz, die Disney sich in den hundert Jahren seines Bestehens erworben hat. Wie kann ich wirklich ein Produkt großartig vielfach verwerten? Walt Disney war ein Meister des Merchandising. Dass wir die Figuren von Micky Maus heute so präsent haben, liegt nicht an den Filmen, sondern daran, dass sie auf Armbanduhren, Bettwäsche, Porzellan-Nippesfigürchen verwertet wurden. Da kennt sich kaum ein Unternehmen der Unterhaltungsbranche so gut aus, wie die Disney-Company. Dementsprechend haben sie zugekauft. Da dürfen wir nicht mehr allzu viel Originelles erwarten.
Aber das eigentliche, was Disney macht, und was nicht einfach zugekauft ist, das ist nicht zu vernachlässigen. Sowohl im Spielfilm- wie auch im Trickfilmbereich ist da immer wieder mal etwas richtig Interessantes dabei.
Donald Duck würde überhaupt nicht verstehen, dass ein Pechvogel wie er in einem Unternehmen groß geworden ist.
SWR1: Was würde Donald denn heute zu dem alles sagen?
Platthaus: Der würde überhaupt nicht verstehen, dass ein Pechvogel wie er in einem Unternehmen groß geworden ist, das so unglaublich viel Glück und Erfolg gehabt hat. Er würde wahrscheinlich vermuten, dass das in Wirklichkeit seinem Onkel Dagobert gehört. Und das mit Walt Disney hat sich Dagobert ausgedacht. Denn so etwas gibt es ja gar nicht in der Wirklichkeit. Ich vermute, ungefähr so würde mein Lieblings-Pechvogel darüber denken.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.