Nahost-Experte: "Um die Geiseln geht es nicht mehr"
SWR1: Immer noch setzen sich Angehörige der Geiseln dafür ein, dass die israelische Regierung einen Deal mit der Hamas eingeht, um die Entführten freizubekommen. Ist das aussichtslos?
Richard C. Schneider: Im Augenblick, ja. Im Augenblick ist die Regierung voll darauf konzentriert, den Krieg gegen die Hisbollah im Norden, also im Libanon, zu führen und gleichzeitig auch darüber nachzudenken, wie man nach dem zweiten direkten Angriff des Iran reagiert. [...] Aber um die Geiseln geht es leider im Augenblick überhaupt nicht mehr.
SWR1: Im Gazastreifen gab es nach dem Angriff eine humanitäre Katastrophe, die Zivilbevölkerung leidet. Wie berechtigt ist in Ihren Augen Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung?
Schneider: Zunächst einmal kann man jede Regierung der Welt kritisieren. Das ist alleine schon die Aufgabe von uns Journalisten. Darf man also die israelische Regierung kritisieren? Selbstverständlich. Die Frage ist nur: Wie kritisiert man sie und mit wie viel Wissen kritisiert man sie?
Wenn die Leute von Genozid und sonstigen Dingen reden, würde ich sagen, das ist Propaganda und hat mit seriöser Kritik nicht viel zu tun. Die Frage ist vor allem auch, was passiert dort tatsächlich? Wir wissen zwar eine Menge, aber nicht alles. […]
Die Israelis führen einen asymmetrischen Krieg gegen Terrororganisationen, deren Prinzip es ist, aus zivilem Gebiet heraus in erster Linie Zivilisten anzugreifen. Man feuert aus zivilem Gebiet heraus und hat Raketen in Privathäusern untergebracht. Man will auch genau diese Bilder [...], die wir jetzt schon seit einem Jahr aus Gaza bekommen und jetzt dann auch aus dem Libanon. […] Die eigene Zivilbevölkerung ist für eine Organisation wie die Hamas oder die Hisbollah nicht viel wert, man benutzt sie auch im Propagandakrieg.
Das alles gesagt habend, muss man trotzdem Fragen stellen, ob und wie die israelische Armee vor Ort vorgeht. Macht sie das immer im Einklang mit dem internationalen Völkerrecht? Das kann zum Teil bezweifelt werden. Es ist Krieg und da geschehen leider auch ganz schreckliche Dinge, die man dann natürlich danach verfolgen muss.
SWR1: Sind in Ihrem Umfeld nach dem 7. Oktober an diesem Krieg auch Freundschaften zerbrochen?
Schneider: Interessanterweise nicht mit meinen palästinensischen Freunden, aber mit vielen nicht-jüdischen Deutschen. Ich würde sie dann schon nicht mehr Freunde, sondern Bekannte nennen. Die Freundschaften sind auch nicht zerbrochen, sondern die Leute haben sich zurückgezogen. Die Leute rufen nicht an.
Ich habe sowohl auf der israelischen Seite wie auch auf der palästinensischen Seite Menschen, die getötet wurden, die gestorben sind. Das geht mir nah und das ist natürlich auch nicht etwas, was man einfach so wegsteckt, auch wenn ich als Journalist viele Kriege miterlebt habe. Aber da kommt nichts, da kommt von sehr, sehr wenigen eine Nachfrage, wie geht's dir eigentlich?
Das Gespräch führte Claudia Deeg.
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