Erwarten Sie zu viel. Ist das nicht einen Tick zu rücksichtslos, wenn man es nicht macht oder ganz normal? Eine Antwort darauf hat Verkehrspsychologe Dr. Jens Schade.
SWR1: Warum verhalten wir uns so im Straßenverkehr?
Jens Schade: Einen starken Einfluss hat die Anonymität. Wenn wir in unseren Fahrzeugen sind, abgeschlossen wie in einem Kokon, dann sind das um uns herum nur Objekte. Nonverbale Gesten, ein Lächeln, ein Nicken - all das ist während der Verkehrsteilnahme gar nicht wahrnehmbar. Es führt dazu, dass wir solche Signale vielleicht auch negativ interpretieren.
SWR1: Mit anderen Worten, wir sind gar nicht so schlecht, wie wir denken?
Schade: Ich denke schon. Es gibt eine ganz bekannte Verzerrung aus der psychologischen Forschung. Wenn man etwas selbst tut, dann hat man die Informationen. Und in der Regel meint man es nicht schlecht. Aber die gleiche Handlung bei anderen wird häufig als gegen mich gerichtet interpretiert. Das ist ein Umstand der dazu führt, dass aus meiner Sicht das Verkehrsklima als rauer beschrieben wird und vielleicht nur eine Verzerrung ist.
Von der Smartwatch bis zum Hund Sieben Dinge, die im Straßenverkehr verboten sind
Schnell noch beim Autofahren einen Termin mit der Smartwatch bestätigen, dabei den Hund auf dem Beifahrersitz den Nacken kraulen? Sieben Dinge, die im Straßenverkehr verboten sind.
SWR1: Könnte man beispielsweise schon in der Fahrschule etwas tun, damit diese Freundlichkeit auf der Straße ein bisschen besser läuft?
Schade: Das findet schon statt. Aber, weil die Kommunikation im Straßenverkehr eingeschränkt ist – wenn sich beispielsweise zwei Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern aufeinander zu bewegen – ist das schwer möglich. Dafür sind die Regeln gemacht und sollen uns helfen, diese Situation zu klären, ohne dass wir uns gegenseitig Zeichen geben. Natürlich gibt es Situationen – das Klassische wäre jetzt rechts vor links bei vier Fahrzeuge an einer Kreuzung – bei denen wir uns sogar abstimmen müssen. Für Fahranfänger halte ich das für eine nicht ganz so gute Idee. Rücksichtsvolles fahren, vielleicht auch mal verzichten auf ein Recht, das sollte schon klar sein.
SWR1: Machen wir es mal ganz konkret, obwohl ich eigentlich das Recht hätte zu fahren, lass ich den anderen rein. Was machen Sie?
Schade: Ich bedanke mich natürlich und mache zum Beispiel den Warnblinker einmal an und wieder aus als ein Signal, dass ich das wahrgenommen habe. Ich denke, das kann man durchaus manchmal beobachten.
Das Interview führte SWR1 Moderator Veit Berthold.