Film für's Ohr »Blutige Kohle«

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Autor/in
Anja Kalischke-Bäuerle

Sind multinationale Kohlezulieferer verstrickt in zahlreiche Morde in Kolumbien? In »Blutige Kohle« berichtet ein Auftragsmörder, was und wer ihn zu seinen Taten geführt hat und wie er heute mit seinen Schuldgefühlen umgeht. Dagegengestellt wird die Sicht einer Opferfamilie auf Mord, Verlust und Traumabewältigung.

»Blutige Kohle« – eine Filmbesprechung von Anja Kalischke-Bäuerle

Und darum geht’s – Filmbesprechung zum Nachlesen

Viele Energieunternehmen in den unterschiedlichsten Ländern der Welt beziehen Kohle aus Kolumbien. Und das, obwohl seit Jahren Vorwürfe bestehen, dass paramilitärischer Morde und Landvertreibungen zusammenhängen. Was das heißt? Menschen, ganze Familien werden einfach so von ihrem Land gezerrt, gefoltert und umgebracht. Das Land geht in das Eigentum der Paramilitärs über. Die behalten das Land oder verkaufen es dann an die Kohleabbaufirmen. Es scheint also Allianzen zu geben. Waffen oder einen klaren Auftrag haben die Paramilitärs nicht bekommen, aber das Geld dafür. Hauptlieferanten sind dabei die Firmen Drummond aus den Vereinigten Staaten und Glencore aus der Schweiz. Eine Verbindung zu den Gewaltverbrechen in Kolumbien wird – obwohl diese bis heute andauern – von den internationalen Energieerzeugern bestritten.

Dieser mutige Film versucht der Gewalt auf den Grund gehen. Einfache Bauern sind zwischen die Fronten geraten, die Opfer werden zum Teil nicht einmal gefunden. Und so begleiten wir stellvertretend die Familie Flores, die nach den Überresten ihrer Familie schon lange sucht. Nur die Frauen haben überlebt. Die Männer sind alle umgebracht worden. Wenigstens begraben möchte man sie. Das Stück Land, das ihnen gehörte, ging nach der Ermordung der Männer an die Paramilitärs und wurde dann als Schuttablageplatz der Kohlemine von Prodeco [Anmerkung der Redaktion: Minenbetreiber und Tochter des Schweizer Unternehmens Glencore] genutzt.

Incoder ist für eine gerechte Landverteilung zuständig, aber vertrieben wurden Millionen Menschen von ihrem Land – mit Gewalt. Die Bilder sind nur schwer zu ertragen. Man sieht Kämpfer und Kämpfe und das was übrigbleibt: Bilder von Toten über Toten. Toten, denen die Fingerabdrücke abgenommen werden, um wenigstens die Chance einer Identifizierung zu haben.

Wir folgen der Familie Flores auf den Friedhof – Wände voll mit Urnengräbern, alle mit kleinen Blumensträußen und Bildern geschmückt. Vor einem Bild mit einem Jungen bleiben sie stehen. Das ist der Sohn, der Bruder, der Cousin, der mit 16 Jahren von den Paramilitärs umgebracht wurde. Die Oma weint wegen ihrem Sohn – der einzige, den sie gefunden haben. Und als die Kleinste fragt „Warum weinst du Oma?“ und ihre Mutter Nellys ihr erklärt warum, herrscht Stille. Die Frauen sehen sich an, sehen auf das Grab an der Wand und erinnern sich: Nellys war am Tag der Ermordung ihres Vaters und ihrer Brüder 15 Jahre alt. Heute ist sie Anfang 30 und denkt noch immer jeden Tag an die schrecklichen Stunden, die ihr Leben und das ihrer Familie für immer verändert haben. Was sie aus ihrem Versteck gesehen hat, hat ein Trauma bei Nellys verursacht. Was sie erzählt, wird in düsteren, comic-artigen Zeichentrickbildern gezeigt. Reduziert und eindringlich verdeutlichen sie die Angst und das Entsetzen der Mädchen. Bisher wurden nur die Überreste ihres jüngsten Bruders gefunden. Zwei weitere Brüder und der Vater sind noch immer verschollen.

Wer diese Morde begangen hat? Das weiß man. Es ist "El Samario". Anfang 2017 wurde er im Alter von 42 Jahren nach einer verbüßten Haftstrafe von nur knapp zwölf Jahren aus dem Gefängnis entlassen. "El Samario" ist sein ehemaliger Kämpfername. Seine Freunde nennen ihn bis heute so. Der Name ist eine Drohung, versprüht pure Angst. Sein bürgerlicher Name ist Alcides Manuel Mattos Tabares. Mehr als zehn Jahre war er aktiver Soldat in der paramilitärischen Organisation AUC [Autodefensas Unidas de Colombia] in Kolumbien. Zuerst als einfacher Fußsoldat, dann als Sicherheitsmann und schließlich als Kommandant.

Während er das erzählt, sieht man seine heutige Angst. Es wird lange aus dem Fenster gesehen, draußen ist es dunkel. Bewegt sich da was? Er sagt, er hätte keine Angst vor den Opfern, aber seine Vorsicht, mit der er das Haus verlässt, sich immer wieder umsieht und schnell zum wartenden Auto geht, sagt etwas anderes über ihn und seine Gemütslage aus. »Blutige Kohle« gibt uns einen Einblick in die Psyche eines Auftragsmörders – und die Traumata, unter denen die Angehörigen seiner Opfer leiden.

"El Samario" geht durch eine Ruine, die ihm Schutz nach allen Seiten bietet. Und auch hier sieht er sich mehrfach um – eigentlich ständig.

Eine Familie mit einem Esel kommt vorbei. Er grüßt, als wenn es das Normalste der Welt ist, weil keiner mehr weiß, wer er ist.

Er hatte immer ein klares Ziel. Er wurde geschickt, weil er Erfahrung hatte. „Sie haben mir eine Liste mit Namen gegeben. Es mussten knapp 200 Menschen umgebracht werden, alles Guerilleros oder in Verbindung zu Guerilleros.“ Währenddessen hat er bei der örtlichen Polizei übernachtet oder auch beim Bürgermeister. Es folgen Bilder von Toten, von Menschen, die umgebracht wurden. Man sieht sie liegen, in Müllsäcke gehüllt, sitzend, vergraben unter Schutt, völlig verstümmelt.

Als er befragt wird zu El Prado und der Familie Flores, erzählt er alle Details. Er kann sich gut erinnern. Jetzt will er sich befreien von dieser Last, will seine Opfer wiederfinden. Wiedergutmachen, was nicht wiedergutzumachen ist. Er hat Angst, besucht seine Familie nur selten, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Er steht mit Angst auf und geht mit Angst schlafen.

Als er in dem Film seine Frau in den Arm nimmt, lächelt sie und sagt gleichzeitig schulterzuckend: „Ich bin von Opfern umgeben. Ich wohne mit ihnen zusammen. Auch mein Cousin hatte um Hilfe gebeten, aber ich konnte doch nichts tun. Hätte ich Alcides anrufen sollen?“

Man sieht die riesigen Kohleabbauflächen. Familie Flores, drei Generationen Frauen, kehrt zurück auf ihr ehemaliges Land: El Prado, heute direkt angrenzend an dieses Gebiet. Die Bilder zeigen verfallene Mauern. Man sieht einen kaputten Schuh, Stücke des ehemals roten Fußbodens des Wohnzimmers. Die Oma sagt: „Wenn sie mir vorher gesagt hätten, ich solle gehen, ich wäre sofort gegangen. Warum mussten sie meine Familie massakrieren?“

Er gibt für alle seine Verfehlungen, für all die Gräueltaten, den Kommandanten die Schuld. „Sie rufen dich an und bieten dir Geld für einen Mord. Das sind die gleichen Anführer wie früher. Sie meinen, das Geld lockt doch.“ Es sagt auch: „Der Einzige, der dir verzeihen wird, ist Gott.“ Er hofft, dass er verzeiht und auch die Opfer. Auch Elias will also wiedergutmachen. Er hilft bei der Suche nach den Überresten der Familie Flores, kann sich noch gut erinnern, wo die Leichen vergraben wurden. Dichtes Gestrüpp sieht man, er geht mit der Machete voran, plötzlich bleibt er mitten im Dschungel stehen und findet den Platz, an dem sie graben müssen.

Auch nach mehreren Tagen Suche konnten keine Überreste gefunden werden. Ein erneuter Kontakt zu "El Pigua" ist ebenfalls nicht mehr möglich. Aber sie wollen die Suche nicht aufgeben.

Ein Film, der nichts ist für schwache Nerven. Die Bilder sind eindrücklich und schonungslos. Sie zeigen einen Teil der Welt, über den wir in den Nachrichten nur selten etwas hören und offensichtlich zu wenig wissen. Sehenswert, wenn man einfach besser Bescheid wissen und auch hinterfragen möchte. Sucht man im Internet nach diesen Geschehnissen, nach der aktuellen Lage, der Rechtsprechung in Kolumbien, wird man durchaus fündig. Spannend und aufrüttelnd zugleich zeigt uns dieser Film, dass es gut ist, sich für die Welt zu interessieren.

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Anja Kalischke-Bäuerle