Versuchsaufbau der Studie (Foto: Pressestelle, scientific reports paper: Conflict experience and resolution underlying obedience to authority)

Käfer zermahlen auf Ansage

Wie gehorsam sind Menschen?

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Veronika Simon
Portraitbild von Veronika Simon, Multimedia-Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell (Foto: SWR)
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Elisabeth Theodoropoulos

Menschen sind gehorsam – die einen mehr, die anderen weniger, aber es scheint irgendwie in unserer Natur zu sein. Aber wieso? Das versuchte eine Studie zu ergründen.

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Eine elektrische Kaffeemühle steht auf einem Tisch, eine Frau direkt davor. Sie ist Teilnehmerin an einem psychologischen Experiment. Der Versuchsleiter steht ihr gegenüber, reicht Gegenstände an, die sie auf Knopfdruck mit ihrer Kaffeemühle zerkleinern soll. Sie denkt, es gehe darum, zu erforschen, wie es sich anfühlt, Dinge zu zerstören. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.

Das Gehorsamkeitsexperiment

Zuerst erhält sie Kaffeebohnen: Die Frau füllt sie in die Mühle, drückt auf den Knopf, nicht lange und die Bohnen sind nur noch Pulver. Danach muss sie einen kurzen Fragebogen ausfüllen – wie fühlt es sich an, Kaffeebohnen zu zerstören? Aufregend? Angenehm?

Als nächstes wandert ein gefalteter Papierkranich in die Kaffeemühle, wieder ein kurzer Fragebogen, und dann folgt der Höhepunkt des Experiments: Der Versuchsleiter reicht ihr ein Reagenzglas über den Tisch, darin sieben lebende Käfer. Auch die soll sie einen nach dem anderen in der Kaffeemühle zermahlen.

Mann mahlt Kaffeebohnen mit Kaffeemühle. (Foto: IMAGO, IMAGO / HEX)
Im Rahmen des Gehorsamkeitexperiments sollten die Teilnehmenden zunächst Kaffeebohnen, dann einen Papierkranich und zuletzt mehrere lebendige Käfer in einer elektrischen Kaffeemühle zerkleinern.

An diesem Punkt wird es spannend. Gehorcht die Frau dem Versuchsleiter?

Bei Gehorsam geht es darum, dass wir den Anweisungen einer Autorität folgen, selbst wenn die unseren eigenen Wertvorstellungen widersprichen.

Felix Götz hat mit seinem Forschungsteam die Ergebnisse dieser Versuche vor kurzem in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.

Bei mir persönlich ist es so, dass ich im Studium viele Kurse in Geschichte belegt habe – neben Psychologie. Daher gesehen stellt sich natürlich die Frage: Warum machen Menschen Dinge, die sie eigentlich nicht tun wollen?

Wie weit gehorchen wir?

Einen Käfer zu töten – da haben die meisten Menschen erstmal Hemmungen. Besonders, wenn er in einem Reagenzglas ist und uns nicht weiter stört. Bei ähnlichen Versuchen mit Fischen weigerten sich alle Teilnehmer, die Tiere zu töten. Doch in den Versuchen von Götz und seinen Kollegen und Kolleginnen drücken viele den Knopf – Käfer zu töten, scheint für viele noch zu gehen.

Gelbrand-Käfer (Foto: IMAGO, IMAGO / blickwinkel)
Die meisten Teilnehmenden hatten zunächst Hemmungen einen Käfer zu töten, doch im Gegensatz zu einem Fisch, scheint der Käfer am Ende für viele noch zu gehen.

Doch nicht ohne Widerstand. Zögerten die Versuchspersonen, das Tier zu zermahlen, wies der Versuchsleiter sie wieder an, es zu tun – er trage die Verantwortung – es ginge hier um eine wissenschaftliche Fragestellung. Erst beim dritten NEIN der Versuchsperson wurde das Experiment abgebrochen.

Natürlich ist den Käfern bei diesem Versuch nichts passiert, die Kaffeemühlen waren so präpariert, dass es nur so aussah, als wären sie zermahlen worden. Doch das wussten die Versuchspersonen nicht. Das Ergebnis der Studie überraschte auch den Autor.

Wenn man den Leuten nicht auf die Nase bindet: Das ist ihre freie Entscheidung!, dann machen es die meisten Leute!

Zwar wurde ihnen auch am Anfang gesagt, dass sie jederzeit mit den Versuchen aufhören können. Doch eben nur ein Mal. In einer Kontrollgruppe wurden die Versuchspersonen immer wieder darauf hingewiesen, dass sie selbst entscheiden dürfen, was sie mitmachen und was nicht. In dieser Gruppe wurden deutlich weniger Käfer vermeintlich zermahlen.

Bei vielen dürfe bei diesen Versuchen die berühmten Milgram-Experimente aus den 60er Jahren in den Sinn kommen. Dabei wurden Versuchspersonen angewiesen, einem anderen Menschen Stromstöße zu verpassen, wenn der einen Fehler macht. Das vermeintliche Opfer war ein Schauspieler und wurde nicht wirklich gefoltert. Doch das wusste die Versuchsperson nicht, sie hielt die Stromstöße für echt. Trotzdem: Viele gehorchten auf die Anweisung – selbst, als die Stromstöße eine tödliche Stärke erreichten. Diese Experimente waren sehr eindrucksvoll. Heute könnte man solche Versuche nicht mehr durchführen, ethisch ist das kaum vertretbar.

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Doch für Felix Götz ist auch eine andere Fragestellung interessant, als in den Experimenten von Stanley Milgram:

Verantwortungsgefühl in "brenzligen" Situationen

Ihm ging es eigentlich mehr darum:

Wie muss ich die Autorität gestalten, dass die Leute das machen? Und das sagt uns nichts darüber, warum die Leute gehorsam sind. Und das ist so die Frage, an die wir uns annähern.

Dafür führten die Psychologen und Psychologinnen noch weitere Versuche durch: Bei einer weiteren Versuchsreihe, bei der vermeintlich ein Käfer getötet wurde, fragten sie ab, wie verantwortlich sich die Menschen für ihre Taten fühlen.
Eine Theorie von Stanley Milgram besagt nämlich, dass Menschen die Verantwortung an den Befehlsgeber abgeben, wenn es brenzlig wird. So können sie auch gehorchen, wenn die Taten gegen ihre eigenen Werte gehen .

Die Ergebnisse aus Regensburg zeigen aber das Gegenteil: Die Versuchspersonen fühlten sich sehr verantwortlich für die Zerstörung der Käfer, deutlich stärker als für die Zerstörung der Kaffeebohnen.

Elektrische Kaffeemühle mit Kaffeebohnen. (Foto: IMAGO, IMAGO / agefotostock)
Die Teilnehmenden aus der Studie fühlten sich sehr verantwortlich, wenn sie bei den Käfern auf den Knopf zum Zerkleinern gedrückt hatten.

Insgesamt zeigt die Auswertung der Fragebögen und von zusätzlichen Messungen der Hautleitfähigkeit der Probanden während des Versuchs: Die Leute, die gehorchten, fühlten sich unwohl – deutlich mehr, als die Menschen, die sich weigerten und die Käfer am Leben ließen.

Aber wieso machen die Leute dann mit, wenn sie sich sogar körperlich unwohl fühlen? Es zwingt sie ja niemand?
Ein Erklärungsansatz der deutschen Forschenden: Die Menschen sollten nicht einfach als Individuen gesehen werden, die alleine, nur für sich handeln. Denn sie befinden sich ja in einer sozialen Situation.

Was Leute häufig gefragt haben, wenn sie unsicher waren und eigentlich nicht weiter machen wollten: Wenn ich jetzt hier „Nein“ sage, bringt ihnen meine Teilnahme dann überhaupt was? Wodurch man richtig sieht, die sehen sich persönlich dem Experimentator gegenüber verpflichtet richtig durchzuziehen.

Dazu komme: Auch der freie Wille sei abhängig von der sozialen Situation. Die Experimente würden zeigen, so Götz: Wenn man die Leute an ihren freien Willen erinnert, verhalten sie sich anders, als wenn man das nicht macht.

Der Mensch habe einen sehr großen Wunsch nach Kooperation, den müsse man mitdenken.

Wenn Leute mal initial gesagt haben: Ich mach mit! Dann machen die das offensichtlich auch bis zu einem Punkt, der gegen ihre eigenen Wertvorstellungen geht und sogar ihr eigenes Wohlbefinden.

In Zukunft müsse daher weiter erforscht werden, welche Dynamik zwischen dem Befehlsgeber und der gehorchenden Person besteht. Denn eine einzelne Person mit einer Kaffeemühle in der Hand käme wohl in den wenigsten Fällen auf die Idee, einen Käfer darin zu zermahlen.

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