Martin Kühn, Nationalparkranger beim Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN), trägt Schutzkleidung beim sammeln von toten Vögel an der Küste zwischen Schlüttsiel und Dagebüll. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, /dpa)

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Vogelgrippe - droht die nächste Pandemie?

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Millionen Wild- und Zuchtvögel sind bereits betroffen. Auch Menschen infizieren sich vereinzelt mit der Vogelgrippe. Doch wie gefährlich ist sie wirklich für uns? Einschätzungen von Forschern.

Virus weiterhin nicht von Mensch zu Mensch übertragbar

Bisher ist es keine Zoonose, also eine Krankheit, die von einem Tier auf Menschen übertragen wird, sagt Ian Brown, Direktor der britischen Behörde für Tier- und Pflanzengesundheit bei einem internationalen Briefing der Science Media Center Deutschland, Spanien und Großbritannien.

Auch wenn sich vereinzelt Menschen bei Vögeln anstecken, sind solche Infektionen meist auf sogenannte Spillover zurückzuführen. Bei einem Spillover wird eine Infektion erzwungen, in dem zum Beispiel ein infiziertes Tier verzehrt wird, oder eine offene Wunde in Kontakt mit infiziertem Blut kommt. Oft sind Menschen betroffen, die viel Kontakt mit infizierten Tieren haben, beispielsweise Angestellte in Geflügelfarmen. Seit die gefährliche H5-Variante der Vogelgrippe Mitte der 1990er-Jahre auftauchte, gab es zwar viele solcher Fälle:

"Aber das Wichtigste ist, dass dieses Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Das ist immer noch so, deswegen können wir im Moment nicht von einer Zoonose sprechen. Das Virus kann sich allerdings verändern", so Ian Brown.

Geflügelfarm im tschechischen Horsov Karel. (Foto: IMAGO, /CTK Photo)

Spillover erhöhen das Risiko von Zoonosen

Dass ein Spillover auch eine von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheit hervorbringen kann, ist zwar sehr selten. Aber das SARS-Coronavirus 2 wurde vermutlich von einer Fledermaus auf einen Menschen übertragen und daraus hat sich eine Pandemie entwickelt, dieser Spillover wurde zu einer Zoonose.

Die Einschätzung zur Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass ein Spillover der Vogelgrippe zu einer Zoonose und einer Pandemie führe, schätzt Ian Brown folgendermaßen ein:

"Es ist ein Spiel mit den Zahlen. Jeder Spillover erhöht das Risiko einer Zoonose."

Das Rangerteam des National Trust räumt verstorbene Vögel von Staple Island. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, /dpa/PA Wire)

Vorteil der Menschen durch angeborene Immunität?

Martin Beer ist Institutsleiter für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut, dem Bundesinstitut für Tiergesundheit. Seiner Einschätzung nach sind wir noch nicht nahe an einer Vogelgrippe-Pandemie, denn es sei nicht einfach für das Virus, sich an den Menschen anzupassen: "Die großen Hürden sind einerseits die Rezeptoren des Virus, die es anpassen muss, um sich in uns vermehren zu können. Aber auch die angeborene Immunität: Es gibt Studien, die zeigen, dass es nicht einfach für das Vogelgrippevirus ist, unsere angeborene Immunität zu überwinden. Wahrscheinlich kann das Virus deshalb Nerze so leicht infizieren, weil deren angeborene Immunität nicht so stark ist, wie unsere.“

Wie das zum Beispiel auf einer Nerzfarm in Spanien geschehen ist. Dort scheint das Virus auch von Nerz zu Nerz übertragbar geworden zu sein. Doch der Nerz ist immunologisch weit von uns entfernt. Würde sich das Virus an Schweine anpassen, wäre das viel besorgniserregender, sagt Martin Beer, da Schweine uns recht ähnlich sind.

Eine Nerzfarm in Ostflandern, Belgien. Nerze in verschiedenen Käfigen. (Foto: IMAGO, /Reporters)

Auch Seelöwen von der Vogelgrippe betroffen

Ob das Virus sich in einer betroffenen peruanischen Seelöwenkolonie auch von Seelöwe zu Seelöwe verbreiten konnte ist nicht klar. Auf den ersten Blick könnte es so aussehen, denn etwa 500 der Tiere waren infiziert. Ein Spillover ist in der Regel ein vereinzeltes Ereignis, das muss aber laut Brown nicht immer so sein:

"Es ist wichtig zu wissen, dass es wahnsinnig viele infizierte Vögel gibt, die krank werden und sterben. Tiere wie Seelöwen leben entweder auf engem Raum mit diesen Vögeln zusammen oder sie jagen sie und fressen auch verendete Tiere. Es kann sein, dass die toten Vögel für die Seelöwen ein wahres Festmahl sind. Wir müssen schnell die Viren genau genetisch untersuchen, an denen diese Tiere gestorben sind.“

Denn so kann festgestellt werden, ob das Virus jeweils von Vogel zu Seelöwe oder von Seelöwe zu Seelöwe weitergegeben wurde. Denn um von Seelöwe zu Seelöwe übertragen werden zu können, muss sich das Virus an Schlüsselstellen verändert haben. Ist es noch das Gleiche wie in der Seevogelpopulation, dann handelt es sich sehr wahrscheinlich um viele einzelne Spillover.

Eine akute Gefahr für uns Menschen stellt die aktuelle Vogelgrippe-Panzootie derzeit nach Einschätzung von Experten noch nicht dar. Doch muss der Verlauf des Virusgeschehens aufmerksam verfolgt werden. Denn so kann – auch mit den Lehren, die aus der Coronapandemie gezogen werden konnten – schnell reagiert werden, wenn das Virus doch auf den Menschen überspringen sollte.

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