In einer Straßenumfrage versuchen die Beteiligten den typischen Langweiler zu charakterisieren:
- Sitzt stundenlang im Büro und ist Beamter, Bankberater, Jurist oder Anwalt, Bibliothekar oder Mathematiker;
- eine Person, die sich auch während Corona sehr gefreut hat, Homeoffice zu machen;
- das wäre jemand, mit dem ich mich jetzt nicht gern unterhalten wollte;
- Auto putzen am Sonntag, Rasen mit der Nagelschere schneiden;
- antriebslos, sehr introvertiert; dem ist alles egal, es gleitet alles an ihm vorbei, er bewegt sich nicht viel.
Tätigkeiten im Finanzwesen, der Buchhaltung oder der Reinigung gelten als langweilig
So sieht für die meisten Menschen der typische Langweiler aus, sein Beruf ist langweilig auch seine Charakterstruktur und sein Sozialverhalten. Der Langweiler, den die University of Essex beschreibt, kommt dem sehr nahe: Er hat einen klassischen 9 to 5 Job im Steuer- oder Versicherungswesen oder in der Datenanalyse.
Wenn er nicht gerade vor dem Fernseher sitzt oder Tiere in der Natur beobachtet, beschäftigt er sich mit Mathematik oder Religion. Der britische Langweiler par exellence ist introvertiert, wenig spontan und könnte sich wohl kaum vorstellen, beruflich umzusatteln, etwas Neues auszuprobieren.

Sollte es dazu dennoch kommen, wird er sich nach Berufen im Finanzwesen oder der Reinigung umsehen. Oder ist für ihn vielleicht doch ein Wechsel in die Buchhaltung ein lang ersehnter Traum? Jobs dieser Richtung zählen nämlich laut der Studie auch zu den top five der langweiligsten Berufe.
Manuela Timme ist Psychologin für Verhaltenstherapie, Coaching und Supervision aus Radolfzell am Bodensee. Sie ist Mitglied des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Warum wir manche Menschen langweilig finden, begründet sie so:
Langeweilern fehlt oft das Verständnis für die anderen
Aus meiner Sicht geht es um eine gewisse Asymmetrie im Geben und Nehmen - im Gespräch zum Beispiel. Also entweder hört jemand nur zu und redet nichts, oder er redet nur und hört nicht zu. Also da ist nicht wirklich eine Empathie oder ein Verständnis für die andere Seite da. Also ein Langweiler hat im Grunde antisoziale Eigenschaften, also bezieht keine Leute mit ein, geht nicht auf andere ein. Und wenn die sich nicht wahrgenommen fühlen, dann interessieren sie sich auch nicht für ihn.

Interessante Menschen können sich gut in andere hineinversetzen
Das Kontrastprogramm zum Langweiler verkörpert logischerweise der interessante Mensch, er arbeitet – so die Studie der Universität Essex – häufig in künstlerischen oder sozialen Berufen. Also interessante Menschen sind dann eher Journalisten, Ärzte oder aber auch Künstler und Lehrer. Die Psychologin Manuela Timme beschreibt das Kontrastprogramm so:
Sie sind einfach neugierig, sie verlassen sogar vielleicht ihre Komfort-Zone, machen was Neues, gehen Risiken ein, sie können sich interaktiv und symmetrisch in ein Gespräch einbringen und nehmen auch wahr, wie der Gesprächspartner reagiert und erzählen vielleicht auch interessant oder fesselnd und humorvoll.
Interessante Menschen sind leidenschaftlich, können andere begeistern
Interessante Menschen werden von Manuela Timme als insgesamt leidenschaftlich eingestuft. Sie können sich für ein Thema begeistern und damit andere anstecken und mit hineinziehen. Insgesamt machen sich diese Menschen wenig Gedanken darüber, was andere von ihnen denken, sondern sind einfach authentisch, verstellen sich nicht und können einfach erzählen.
Egal ob es um Langweiler oder interessante Menschen geht – wir verknüpfen mit diesen Typen bestimmte Assoziationen, Bilder, Stereotype, und die sind vor allem durch kulturelle und soziale Einflüsse geprägt. Wie alle sozialen Bewertungen seien diese, so Timme, vom jeweiligen Kontext der Gesellschaft abhängig. So ist es nach Einschätzung von Manuela Timme fraglich, ob man die Ergebnisse der Studie der Universität Essex eins zu eins auf Deutschland übertragen könne.

Soziale Ausgrenzung wird als Schmerz empfunden
Übrigens: Langweiler zu sein, bringt auch viele Nachteile mit sich: Weil dieser Typ nur über geringe soziale Kompetenzen verfügt, wird er oftmals von der Gemeinschaft stigmatisiert, diffamiert und ausgeschlossen: Sozialer Ausschluss lässt sich, so Timme, auch im Gehirnscan nachweisen. Das wird empfunden wie Schmerz. Und dementsprechend reagiere das Gehirn auch.
Und wenn das in der frühen Kindheit schon passiert, also wenn Kinder zum Beispiel irgendwo nicht mitspielen dürfen, dann kann das zu unsicheren Bindungsmustern führen und Verhaltensauffälligkeiten. Auch später im Erwachsenleben kann dann dadurch ein erhöhtes Erkrankungsrisiko mit einhergehen: Von Burnout über Depressionen, bis hin zu sozialen Ängsten, Suchterkrankungen, Probleme mit Emotionen und Aggressionen, bis hin zum Suizid.
Prinzipiell ist es fraglich, wie aussagekräftig solche Studien überhaupt sind, die sehr allgemeine subjektive Persönlichkeitsmerkmale unter die Lupe nehmen. Denn meistens bestätigen diese Studien ja nur unsere Vorurteile und Denkschablonen. Vielleicht sind vermeintliche Langweiler bei genauerem Hinschauen doch interessanter als man denkt.
