Gemüse vorziehen (Foto: Colourbox, Colourbox: 1964270)

Open Source Samen

Saatgut als Gemeingut statt Patente auf Züchtungen - so könnte es gehen

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AUTOR/IN
Alice Thiel-Sonnen

Wem gehört die gezüchtete Braugerste für‘s Bier? Wer darf mit Eigentumsrechten für die Wassermelonen-Züchtung ohne Kerne Geld verdienen? Saatgut-Initiativen suchen öko-faire Lösungen.

Die Streitfälle um Patente auf konventionelle Züchtungen oder Saatgut sind vielfältig. Dabei muss man auch fragen, wem gehört eine schon seit Jahrzehnten angebaute Bohnensorte überhaupt? Dass es auch ohne Patente und Sortenschutz geht, zeigen inzwischen verschiedene Initiativen.

Open Source Samen für gelbe Tomaten

Die kleine gelbe Cocktailtomate Sunviva ist ein Beispiel, wie es anders gehen kann. Sie wurde von einem Netzwerk der Universität Göttingen gezüchtet: Kein Privateigentum, keine Exklusivrechte auf der Sorte - stattdessen ausgestattet mit einer Open-Source-Lizenz. Johannes Kotschi ist Teamleiter der Initiative OpenSourceSeeds und erklärt das Besondere an dieser Lizenz. „Sie sichert Saatgut als Gemeingut. Sie verhindert, dass Saatgut unter Sortenschutz oder Patent gestellt werden kann. Jeder darf das Saatgut nutzen, niemand darf es privatisieren. Und in dem Moment, wo ich Saatgut jemand anderem gebe, übertrage ich auch die gleichen Rechte und Pflichten dem Saatgut-Empfänger.“

Die Sunviva-Tomate ist ein kleiner Star, meint Kotschi stolz. Sie war 2016 das erste Open-Source-Produkt. Inzwischen sind andere Tomatensorten, Paprika, Weizen und Kartoffeln dazugekommen - auf dem Markt der freien Sorten, einem Markt mit der Idee, Saatgut ist Gemeingut.

Right Seeds gegen die Konzentration auf dem Saatgut-Markt

Julia Tschersich hat in dem Projekt Right Seeds der Universität Oldenburg genau solche Ansätze untersucht. Sie sieht in der aktuellen privatwirtschaftlich organisierten Saatgutbranche eine erschreckende Konzentration. „Es gibt drei große Konzerne, die 60 Prozent des Saatgutmarktes und 70 Prozent des agrochemischen Inputs sozusagen kontrollieren und damit auch stark beeinflussen, was überhaupt an Saatgut auf den Markt kommt, was angebaut wird und damit eben eine immense Kontrolle auch über die Lebensmittelproduktion haben.“

Wenige Hochleistungssorten möglichst gewinnbringend vermarktet, das sei nicht das, was wir brauchen, betont Julia Tschersich vor dem Hintergrund von Klimakrise und Biodiversitätskrise. Es brauche eine Vielfalt an Sorten, angepasst an die jeweiligen Regionen und Klimabedingungen.

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Verein Kultursaat und Netzwerk Arche Noah

Vielfalt ist den verschiedenen Saatgut-Initiativen wichtig. Der Verein Kultursaat beispielsweise züchtet neue Sorten nach ökologischen Kriterien. Diese Sorten gehören dem gemeinnützigen Verein, werden aber ausdrücklich der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

Das Netzwerk Arche Noah sammelt alte Sorten in einer gemeinschaftlichen Saatgutbank. Um sie zu erhalten, müssen sie immer wieder angebaut werden.

Problem: Finanzierung der ökologischen Pflanzenzüchtung

Saatgut als Gemeingut ist Forschung, Arbeit, Investition - aber wer zahlt dafür? Johannes Kotschi von der Initiative OpenSourceSeeds bringt das Problem auf den Punkt. „Die heutige ökologische Pflanzenzüchtung bekommt ihre Einkünfte im Wesentlichen über Spenden und Stiftungen. Da sind intensive Bemühungen im Gange, neue Finanzierungsmodelle zu entwickeln, um den Züchtern ein Einkommen zu ermöglichen. Die müssen ja von etwas leben.“

Das könnte ein freiwilliger Sorten-Entwicklungsbeitrag sein, wie ihn der Saatgut-Händler Bingenheimer beispielsweise zahlt. Das könnte auch ein Züchter-Cent sein – ein Aufpreis auf das Endprodukt, der wieder zurück in die Züchtung fließt. Ein Modell, das Junior-Assistenz-Professorin Julia Tschersich nicht nur wegen der finanziellen Absicherung reizvoll findet.

Bewusstsein für Saatgut beim Endverbraucher entwickeln

Ein Züchter-Cent hätte noch weitere Vorteile, findet die Professorin. „Vielleicht sogar noch wichtiger ist, dass man dadurch auch das Bewusstsein des Endverbrauchers stärken kann. Weil das Bewusstsein, wo unsere Sorten herkommen, die wir alltäglich konsumieren, und wie viel Arbeit in die Entwicklung dieser Sorten gesteckt wird, ist kaum vorhanden. Deswegen denke ich, dass diese Art von Initiative gut wäre, um auch die Wertschätzung von ökologischer Züchtung zu stärken.“

Noch haben freie Sorten wie die Sunviva-Tomate nur einen minimalen Teil am Markt. Einzelne gemeinwohlorientierte Initiativen haben Finanzierungslösungen für sich gefunden. Aber im Großen und Ganzen fehlt es der Idee vom Saatgut als Gemeingut noch an einer wirtschaftlichen Grundlage.

Johannes Kotschi von der Open-Source-Seeds-Initiative beobachtet durchaus, dass der Sektor der freien Pflanzenzüchtung zunimmt. Aber im Vergleich zum riesigen privatisierten Saatgutsektor, meint er, sei es immer noch nur ein kleines Pflänzchen.

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