Erdbeben sorgen für Verwüstung. Weniger stabil gebaute Gebäude stürzen ein und begraben Menschen unter sich. Mit erbebensicheren Matten und Tapete lassen sich unsichere Altbauten erbebensicher renovieren. (Foto: IMAGO, IMAGO / ZUMA Wire)

“Gipskorsett” für Häuser

So lassen sich Altbauten gegen Erdbebenschäden sichern

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Stefan Troendle
Stefan Troendle, Reporter und Redakteur bei SWR Wissen aktuell und SWR2 Impuls. (Foto: SWR, SWR, Christian Koch)
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Lilly Zerbst

Vor einem Jahr starben beim schweren Türkei-Beben fast 60.000 Menschen. Viele Gebäude stürzten ein. In Deutschland entwickelte erdbebensichere Matten können Altbauten verstärken und so Leben schützen.

Nach einem Erdbeben sieht man vor allem eins: Trümmer. Helferinnen und Helfer versuchen verzweifelt, Schutt beiseitezuräumen. Häuser müssen aufwendig repariert oder gleich ganz abgerissen werden. Vor einem Jahr, beim Beben in der Türkei, wurden rund 230.000 Gebäude beschädigt oder zerstört.

Erdbebensicher bauen, das geht. Noch wichtiger ist es aber, die bereits bestehenden Häuser erdbebensicher zu machen, von denen die größte Gefahr ausgeht: Altbauten. Das geht auch, dank gleich mehrerer Erfindungen aus Deutschland.

Gipsverband stabilisiert Altbauten

Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurden Verfahren entwickelt, um Häuser rüttelfest zu machen – und zwar, indem sie eine Art Gipsverband bekommen. Die Funktion der Gipsbinde übernimmt eine spezielle Matte aus Glasfasern und Polypropylen mit einer Spezialappretur.

Die erste Faser ist relativ steif. Wenn kleine Erdbeben da sind, nimmt die große Teile dieser Kräfte auf. Und wenn das Erdbeben zu groß ist, dann reißen diese Fasern und sehr weiche Fasern geben dann dem Gebäude die Flexibilität.

Diese Flexibilität ist wichtig. Denn lange wurden Gebäude sehr steif gebaut, so Stempniewski, was dafür sorgt, dass die Kräfte eines Erdbebens stark auf das Gebäude übertragen werden. Mit dem Gipsverband von außen kann das Haus schwanken, ohne einzustürzen. Das Verfahren ist erprobt und wissenschaftlich abgesichert.

Die orangenen Erdbebenmatten werden an der Außenfassade des Altbaus eingegipst. Das ist vergleichbar mit einem Gipsbein. Der Gips stabilisiert den Knochen, die eingegipste Erdbebenmatte schützt das Haus vor Erdbebenschäden. (Foto: SWR, KIT/Stempniewski)
Die orangenen Erdbebenmatten werden an der Außenfassade des Altbaus eingegipst. Das ist vergleichbar mit einem Gipsbein. Der Gips stabilisiert den Knochen, die eingegipste Erdbebenmatte schützt das Haus vor Erdbebenschäden.

Erdbebenschutz ist vielfältig einsetzbar

Das KIT hat mit mehreren Partnerfirmen zusammengearbeitet, um die richtigen Komponenten zu finden - unter anderem mit der Firma Kast aus dem Allgäu. Die Firma kommt aus der Buchbinderei und kennt sich mit technischen Textilien aus. Geschäftsführer Christoph Kast erklärt, dass das Erdbebenverfahren per “Spezialgipskorsett” überall eingesetzt werden kann:

Das funktioniert außen und innen im Bereich von neugebauten Gebäuden gleichermaßen wie bei zu sanierenden oder zu renovierenden Gebäuden. Auch bei historischen Gebäuden ist es möglich, das Mauerwerk zu verstärken und die Leistungsfähigkeit des Mauerwerks zu erhöhen.

Rettung auch bei Pfusch am Bau

Das Verfahren funktioniert sogar bei Pfusch am Bau. Ein Beispiel: Beim Haus von Dietmar Grömminger am Bodensee wurden falsche Steine verwendet. Ein Gutachter bemerkt, dass das Haus keine Statik hat und damit nicht erdbebensicher ist. Eine herkömmliche Stabilisierung wäre sehr aufwendig geworden, so Grömminger. Das Haus wäre wohl für mehrere Monate nicht bewohnbar gewesen. Im schlimmsten Fall hätte es abgerissen werden müssen. 

Das Schutzsystem mit Spezialmatte und -gips ist die Rettung. Für das Schutzsystem muss alles runter: Wärmedämmung und Putz. Die Außenmauern werden mit dem Gipsverband eingewickelt. Aber Familie Grömminger muss nicht ausziehen. Heute ist ihr saniertes Gebäude ein normaler Neubau. Zu sehen ist nichts, das Haus ist erdbebensicher.

Auch beim Megaprojekt Stuttgart 21 wurde das Verfahren bei der denkmalgeschützten Bahndirektion in Stuttgart verwendet – in dem Fall sogar innen. Jetzt sind die tragenden Wände wieder sicher.

Schutz von Innen: Erdbebentapete zögert Einsturz heraus

Für nicht tragende Wände haben die Experten des KIT ein weiteres, etwas einfacheres Verfahren entwickelt: eine Erdbebentapete für Innenwände. Sie besteht aus Glasfasern, das Geheimnis steckt aber im patentierten Tapetenkleister – ein besonders zäher, aber flexibler Spezialklebstoff. Zusammen können Kleber und Tapete Innenwände zunächst aufrecht halten und so bei einem Erdbeben zumindest die wertvollen Sekunden zur Flucht nach draußen ermöglichen.

Tapete und Spezialkleber sollen die Altbau-Wände ausreichend stabilisieren, um im Fall eines Erdbebens kostbare Sekunden zur Flucht herauszuschlagen. (Foto: SWR)
Tapete und Spezialkleber sollen die Altbau-Wände ausreichend stabilisieren, um im Fall eines Erdbebens kostbare Sekunden zur Flucht herauszuschlagen.

Anbringen kann die Tapete jeder Maler. Sie ist kommerziell erfolgreich und wird besonders oft in Italien verbaut - auch weil der italienische Bauchemiekonzern Mapei das Gesamtsystem vertreibt. Dort gibt es sogar schon Erfahrungen bei schweren Beben:

Viele vor allem öffentliche Gebäude also Schulen oder Krankenhäuser hatten das als Schutz und waren danach Ziel von Erdbeben: Wir können also die Effektivität dieses Systems beweisen. Tatsächlich haben es auch die Menschen, unverletzt nach draußen geschafft, die während des Bebens im Gebäude waren.

Erdbebensichere Sanierung zeigt Erfolge in der Türkei

Auch in der Türkei wurden die Erdbebenschutzsysteme aus Deutschland verbaut, vor dem großen Beben vor einem Jahr – oft im Rahmen von Sanierungen.

Wir konnten nach den Erdbeben sehen, dass die Gebäude so gut wie keine Schäden hatten, während andere Gebäude in der gleichen Straße komplett zerstört waren.

Der Erfinder Lothar Stempniewski vom KIT hofft, dass in Zukunft noch viel mehr Gebäude und damit auch Menschenleben gerettet werden können, damit nach schweren Erdbeben solche katastrophalen Bilder wie aus der Türkei vor einem Jahr, in Zukunft immer seltener zu sehen sind.

Auf einem Erdbebensimulator wird die Belastungsfähigkeit eines renovierten Gebäudes getestet. Der verstärkte Bau hält. (Foto: SWR, Stempniewski)
Auf einem Erdbebensimulator wird die Belastungsfähigkeit eines renovierten Gebäudes getestet. Der verstärkte Bau hält.

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