Angst vor Atomwaffen im All: Könnte Russland eine Atombombe zünden? Ein Interview mit dem Physiker und Ex-Astronaut Ulrich Walter für SWR Wissen. (Foto: IMAGO, IMAGO)

Raumfahrt

Die Angst vor Atomwaffen im All - ein Interview mit Physiker Ulrich Walter

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Ute Spangenberger
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Martina Janning

Könnte Russland Atomwaffen entwickeln, um sie im Weltraum gegen Satelliten anderer Länder einzusetzen? Interview mit Ex-Astronaut und Physiker Ulrich Walter über mögliche Gefahren.

In den USA ist eine Diskussion darüber aufgekommen, ob Russland Atomwaffen entwickeln könnte, die im Weltraum gegen Satelliten anderer Länder eingesetzt werden. Russland hat dementiert.

Inzwischen sagte das Weiße Haus, dass solche Waffen nicht einsatzbereit seien und auch keine direkte Zerstörung auf der Erde verursachen könnten. Wir haben mit dem ehemaligen Astronauten und Physiker Ulrich Walter über potentielle Gefahren gesprochen. Das Interview führte Ute Spangenberger.

SWR Wissen: Wie viel Angst müssen wir haben, dass Russland tatsächlich eine Atombombe ins All bringt?

Ulrich Walter: Das ist eine schwierige Frage, denn technisch gesehen könnte Russland das. Das wäre überhaupt kein Problem. Russland hat sowohl die Raketen als auch die Atombomben-Technologie. Das Problem ist nur: Sind die Konsequenzen abschätzbar, auch für die Russen? Denn es könnte sein, dass diese Atombomben im Weltraum auch ihre eigenen Satelliten treffen. Deswegen sollten sie sich das gut überlegen.

SWR Wissen: Sollte es zum Einsatz der Atombombe kommen, wäre der Verlust des eigenen Satelliten vermutlich ein nachrangiges Problem, oder?

Ulrich Walter: Das stimmt. Diese Satelliten, die eine Atombombe tragen könnten, sind relativ günstig herstellbar. Sie brauchen keine besondere Intelligenz. So ein Satellit würde, wenn man ihn in größeren Mengen baut, vielleicht 20 Millionen kosten. Ein guter gegnerischer Satellit, etwa ein Militärsatellit, kostet leicht 300 oder 400 Millionen.

Ulrich Walter ist Physiker und ehemaliger Astronaut. Mit SWR Wissen hat er über die Angst vor Atomwaffen im All gesprochen. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa)
Ulrich Walter ist Physiker und ehemaliger Astronaut. Mit SWR Wissen hat er über die Angst vor Atomwaffen im All gesprochen.

Eine Atombombe im All könnte Satelliten weltweit ausschalten

SWR Wissen: Wie genau könnte eine Atombombe im All anderen Satelliten schaden?

Ulrich Walter: Die Idee wäre, einen eigenen Satelliten mit einer Atombombe zu bestücken und dann im Weltraum zu zünden. Es ist sehr aufwendig, sich an einen anderen Satelliten anzuschleichen und schwer, wenn nicht unmöglich, dann diese Atombombe irgendwie anzubringen. Einfacher wäre es, in einer Entfernung von - sagen wir - 40 oder 50 Kilometer, eine Atombombe zu zünden und dann ist der Satellit weg.

Im Vakuum des Weltraums würde keine Druckwelle den gegnerischen Satelliten zerstören, sondern ein sogenannter Gamma Blast, ein Gammablitz. Das ist ein sehr heller, greller Blitz dieser Atombombe mit Gammastrahlen und die würden dann auf den Satelliten treffen. Und dieser grelle Blitz, der würde dann den Satelliten zerstören, wenn er sich innerhalb von 80 Kilometer um die Atombombe befindet.

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SWR Wissen: Und was wären die mittelbaren Auswirkungen, etwa auch für unsere Erde?

Ulrich Walter: Die Wirkung von Atombomben im Weltraum ist kompliziert. Einerseits gibt es nicht die auf der Erde zerstörerische Wirkung einer Druckwelle, aber der Gammablitz trifft nicht nur auf fremde Satelliten, sondern auch auf die Erdatmosphäre und erzeugt viele ionisierte Teilchen, die zu einem elektromagnetischen Impuls führen, der auf der Erde über tausende Quadratkilometer hinweg, ungeschützte, also normale Elektronik, zerstört. Die Teilchen erzeugen zudem einen künstlichen Strahlungsgürtel im Weltraum, der längere Zeit existiert und Satelliten weltweit ausschalten kann. Es käme zu vielen unkontrollierbaren Folgeschäden.

Ein Gammablitz könnte Satelliten im All zerstören und weitreichende Auswirkungen auf der Erde haben, sagt Physiker Ulrich Walter. Symbolbild: Satellit und Erde (Foto: IMAGO, IMAGO/Design Pics)
Ein Gammablitz könnte Satelliten im All zerstören und weitreichende Auswirkungen auf der Erde haben, sagt Physiker Ulrich Walter.

Internationale Verträge verbieten Atomwaffen im All

SWR Wissen: Es gibt internationale Verträge, auch im Weltraum, die verbieten, Atomwaffen im Weltraum zu stationieren. Reichen die Verträge?

Ulrich Walter: Ja, es gibt den Weltraumvertrag von 1967, der genau das verbietet. Die Amerikaner, die Russen, alle großen Nationen haben gesagt: Wir dürfen keine Atomwaffen in den Weltraum oder auf andere Himmelskörper bringen und der gilt bis heute. Im Jahr 1963 gab es zudem einen Atomwaffenteststopp-Vertrag (Partial Test Ban Treaty) für Kernwaffentests im Weltraum. Auch daran hat sich jeder gehalten. Russland würde gegen beide Verträge verstoßen. Wichtig ist, dass man frühzeitig erkennt, ob die Russen solche Dinge vorbereiten und bauen. Das werden sich die Amerikaner sehr genau anschauen.

Alternative Bedrohungen zu Atomwaffen im All

SWR Wissen: Atomwaffen im Weltraum hieße nicht nur, dort Atombomben zu zünden. Auch ein mit Kernkraft betriebener Störsatellit wäre vorstellbar. Wäre das ein realistischeres Szenario? Wie weit ist man da technisch?

Ulrich Walter: Kernreaktoren sind im Weltraum zulässig, da sie keine Waffen darstellen. Tatsächlich verfügen die Russen mit TOPAZ-II über einen solchen Kernreaktor. Und die USA bauten in den sechziger Jahren und entwickelten später fortgeschrittene Kernreaktoren für den Weltraum. Aber die braucht man nur zur jahrzehntelangen Stromversorgung auf anderen Planeten oder für starke Raumfahrtantriebe jenseits des Mars. Was Satelliten im Erdorbit betrifft, sie mit Kernkraft anzutreiben, macht keinen Sinn, dafür sind Solarzellen ausreichend und viel günstiger. Und für deren Antrieb sind die klassischen chemischen Antriebe völlig ausreichend.

SWR Wissen: Könnte man Satelliten auch ohne den Einsatz von Nukleartechnik ausschalten?

Ulrich Walter: Ja, zum Beispiel mit einem starken Laserstrahl. Man bringt eine Laserkanone in den Weltraum und strahlt gezielt einen anderen Satelliten an. Ein relativ schwacher Strahl verstört seine außen liegenden Sensoren und ein starker Strahl durchbohrt seine Hülle und zerstört seine innere Elektronik und setzt ihn so außer Gefecht. So kann man gezielt gegnerische Satelliten ausschalten.

Das Zerstören einzelner Satelliten im All vereiteln

SWR Wissen: Wäre das der Weltraumkrieg von morgen?

Ulrich Walter: Kaum, denn die Zerstörung einzelner Satelliten nützt nichts bei großen Satellitenkonstellationen wie Elon Musks Starlink. Ob man von seinen jetzt 5000 und später 19.000 Satelliten 100 ausschaltet, stört das gesamte System nicht im Geringsten. Daher drängen alle großen Weltraumnationen zurzeit darauf, Satellitenkonstellationen zu bauen, gerade auch weil ihre Funktionsfähigkeit gegen die Zerstörung einzelner Satelliten, sei es durch Kernwaffen oder Satelliten mit Laserwaffen, immun ist. Das ist wie das Internet, wegen der weltweit tausenden Knoten ist es gegen Hackerangriffe gegen einzelne Knoten immun.

Um gegen die Zerstörung einzelner Satelliten immun zu sein, werden zunehmend Satellitenkonstellationen gebaut. Eine Reaktion auf die Angst vor Atomwaffen im All. (Foto: IMAGO, IMAGO)
Um gegen die Zerstörung einzelner Satelliten immun zu sein, werden zunehmend Satellitenkonstellationen gebaut. Eine Reaktion auf die Angst vor Atomwaffen im All.

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