Iain Couzin erforscht, wie sich Tiere in großen Gruppen, in sogenannten Kollektiven verhalten.  (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)

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Iain Couzin erforscht das Schwarmverhalten von Tieren

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AUTOR/IN
Veronika Simon
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Ralf Kölbel

Iain Couzin ist Direktor am Max-Planck-Institut für Tierverhalten in Konstanz. Er erforscht, wie sich Tiere in großen Gruppen, in sogenannten Kollektiven, verhalten.

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„Zuallererst war es die Schönheit der Vogel- und Fischschwärme, die Schönheit der Natur, die mich zur Verhaltensforschung gebracht hat.“

Und diese Schönheit ließ ihn nicht mehr los. Ein Ergebnis seiner Arbeit: Es gibt bestimmte Regeln, an die sich die einzelnen Tiere halten.

Iain Couzin erforscht, wie sich Tiere in großen Gruppen verhalten.  (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Iain Couzin erforscht, wie sich Tiere in großen Gruppen verhalten.

Tiere in großen Gruppen richten ihr Verhalten an ihren Nachbarn aus

Bei den Bewegungen von Vogelschwärmen könnte man denken, dass es Tiere gibt, die das Verhalten der anderen kontrollieren, so Couzin. Oder bei Ameisen könnte man denken, dass die Königin den Anderen Befehle gibt. Aber so sei es nicht:

„Wir haben entdeckt, dass es einfache, lokale Interaktionen zwischen den Tieren sind, aus denen diese schönen, kollektiven Verhaltensmuster entstehen."

Jedes Tier reagiert also auf das Verhalten der direkten Nachbarn. Das macht die Gruppen widerstandsfähiger, als wenn sie von einem Anführer abhängig wäre. Ohne Anführer, so Couzin, könnte sonst der ganze Schwarm untergehen. Wenn aber das Verhalten von jedem zähle, könne der Schwarm unter unterschiedlichsten Bedingungen überleben.

Vogelschwärme und andere große Tiergruppen orientieren sich bei Wanderungsbewegungen meist am Verhalten ihrer Nachbarn, nicht an einem bestimmten Leittier. (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Vogelschwärme und andere große Tiergruppen orientieren sich bei Wanderungsbewegungen meist am Verhalten ihrer Nachbarn, nicht an einem bestimmten Leittier.

Verhalten in Gruppen bei vielen Tierarten ähnlich

Das Spannende: Diese Regel gilt nicht nur für eine bestimmte Fischart oder eine besondere Ameise. Sie ist übertragbar. Im Exzellenzcluster für kollektives Verhalten in Konstanz untersuchten die Forschenden daher das Verhalten von unterschiedlichsten Tierarten.

Das geht von der Frage, wie winzig kleine Zebrafischlarven auf Lichtreize reagieren, über das Verhalten von Fischschwärmen in riesigen Aquarien bis hin zu Zebras, die in ihrer natürlichen Umgebung in Afrika beobachtet und getrackt werden.

Iain Couzin forscht auch am Schwarmverhalten von Fischen. (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Iain Couzin forscht auch am Schwarmverhalten von Fischen.

Auch Menschengruppen folgen bestimmten Regeln

Aber wenn es um kollektives Verhalten geht, müssen wir nicht weit schauen. Auch wir Menschen folgen diesen Regeln, ohne es zu merken.

„Wir sind uns oft nicht bewusst, was in der Menschenmenge passiert, wir denke über ganz andere Dinge nach, zum Beispiel das Abendessen. Dann bewegen wir uns im Autopilot und das heißt: Auch wir folgen in Gruppen diesen lokalen Regeln.“

Auch Menschen verhalten sich in Gruppen nach bestimmten Mustern. (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Auch Menschen verhalten sich in Gruppen nach bestimmten Mustern.

Auch für uns gilt also: In einer Gruppe orientieren wir uns am Verhalten des jeweiligen Nachbarn, so entsteht ein kollektives Verhalten. Doch auch wenn diese Regel übertragbar ist, heißt das nicht, dass jede Tierart sich in einem Kollektiv gleich verhält.

Wanderameisen organisieren sich kollektiv zu komplexen, anpassungsfähigen Strukturen, ohne dabei kommunizieren zu müssen. (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Wanderameisen organisieren sich kollektiv zu komplexen, anpassungsfähigen Strukturen, ohne dabei kommunizieren zu müssen.

Kannibalismus bei Heuschrecken

Bei ihrer Arbeit mit Heuschrecken hat das Team rund um Couzin herausgefunden, dass die Tiere beim Marschieren versuchen, ihren Vordermann zu fressen und gleichzeitig verhindern wollen, selbst gefressen zu werden. Kannibalismus ist mit dafür verantwortlich, dass sie kollektiv immer weitergehen.

„In Menschengruppen gibt es das zum Glück eher nicht. Aber auch wir nutzen einfache, lokale Regeln für unser Verhalten.“

Roboter-Fische und Virtual-Reality-Aquarien bereichern die Forschung

Diese Art spezifischer Regeln zu erforschen ist gar nicht so leicht. Ein Problem war am Anfang die schiere Menge an Tieren, die gleichzeitig beobachtet werden musste. Dafür brachte sich Couzin in den Neunzigerjahren selbst Programmieren bei.

Am Max-Plack-Institut arbeitet er jetzt mit einem gemischten Team aus Biologen, Informatikern und Ingenieuren. Hier bauten sie zum Beispiel Roboter-Fische, die im Labor und auch in der freien Wildbahn Daten zum Verhalten von Fischen sammeln.

Ein Problem bei dieser Art von Forschung sei es nämlich, dass sich natürlich zwei Individuen gegenseitig beeinflussen. Aber was, wenn ein dritter, vierter, fünfter dazu kommt? Beeinflussen sie sich direkt oder indirekt durch die anderen?

Bei der Auswertung des Verhaltens von Tieren setzen die Forschenden auch auf Computertechnik.  (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Bei der Auswertung des Verhaltens von Tieren setzen die Forschenden auch auf Computertechnik.

Um dieses Netzwerk der Beziehungen zu verstehen, mussten neue Technologien entwickelt werden, wie zum Beispiel Virtual-Reality-Aquarien: Den Fischen im Tank werden echt wirkende andere Tiere gezeigt, eine virtuelle Realität simuliert. So können die Forschenden das Verhalten von einem einzelnen Tier untersuchen, das denkt, es würde mit anderen Tieren interagieren.

Auch Quallen orientieren sich an ihren Artgenossen. (Foto: SWR, SWR Wissen/Veronika Simon)
Auch Quallen orientieren sich an ihren Artgenossen.

Couzin ist schon immer leidenschaftlicher Biologe

Diese grundlegenden Fragen faszinieren Couzin seit seiner Kindheit. Er will verstehen, wie Tiere sich verhalten, wie die Schönheit von Kollektiven entstehen kann. Das treibt ihn an. Als junger Forscher liebte er die Feldarbeit mit Ameisen und Heuschrecken auf der ganzen Welt. Als Direktor und Professor kommt er heute kaum noch zum wirklichen Experimentieren.

„Ich vermisse das sehr! Aber meine Studenten sind so viel besser in den Experimenten als ich! Aber ich liebe es, ein Teil davon zu sein.“

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Ralf Kölbel