Mit dem Preisgeld will MIscha Meier neue Leute einstellen und die interdisziplinäre Geschichtsforschung vorantreiben. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa/Universität Tübingen)

Leibnizpreis 2022

Der Historiker Mischa Meier erforscht die Spätantike

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Ulrike Mix
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Ralf Kölbel

Der Tübinger Historiker Mischa Meier erhält für seine Erkenntnisse zur Spätantike – also der Zeit vom 3. bis zum 8. Jahrhundert nach Christus – den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibnizpreis.

Mischa Meier habe, so die Begründung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit seinen bahnbrechenden Arbeiten zur Geschichte der Spätantike das Feld der Alten Geschichte und benachbarter Disziplinen national und international nachhaltig geprägt.

Meier hat in der Forschung neue Maßstäbe für diese Zeit gesetzt, sagt die Deutsche Forschungsgemeinschaft:

„Meiers Studien haben wesentlich zu einem neuen, differenzierteren Verständnis der sogenannten „langen“ Spätantike beigetragen.“

Heurschreckenplage und Vulkanausbruch sorgten für Hungersnot

Früher definierte man die Spätantike als die Zeit zwischen Konstantin und dem Untergang des Weströmischen Reiches – also von 300 bis 475 nach Christus. Mischa Meiers Forschungen zeigen, dass der Einfluss der Spätantike noch viel länger dauerte – mindestens bis in 8. Jahrhundert.

In seiner Habilitation betrachtete Mischa Meier vor allem das 6. Jahrhundert nach Christus. Damals bestand das Römische Reich aus zwei Teilen und wurde von zwei Kaisern regiert. Es erstreckte sich von Spanien im Westen bis nach Syrien im Osten.

Ausbruch des Ätna - historisches Bild (Datum unbekannt) (Foto: IMAGO, imago images/H. Tschanz-Hofmann)
Ein Vulkanausbruch (hier ein historisches Bild eine Ätna-Ausbruches) hatte wohl im Jahr 536 für anderthalb Jahre die ganze nördliche Hemisphäre verfinstert.

Für den Tübinger Historiker eine spannende Zeit - geprägt von Katastrophen: Erst eine Heuschreckenplage im heutigen Syrien. Dann ein Vulkanausbruch, der für Hungersnöte sorgte:

„Wir wissen, dass sich im Jahr 536 für anderthalb Jahre die ganze nördliche Hemisphäre verfinstert hat. Da gibt es jede Menge schriftliche Berichte drüber und da gibt es mittlerweile auch naturwissenschaftliche Nachweise. Und das ist wahrscheinlich Folge eines großen Vulkanausbruchs. Wo der anzusiedeln ist, weiß man nicht genau. Aber es ist wohl ein Vulkanausbruch gewesen.“

Glaube an von Gott gesandte Katastrophen

Dann folgte auch noch eine Pest-Epidemie. Man glaubte, die Katastrophen seien von Gott gesandt – und das Ende der Welt sei gekommen. Doch irgendwann habe man gemerkt, dass die Katastrophen nicht zum erwarteten Weltende führten. Das habe dann nochmals zu Verunsicherung geführt.

„Da sind Dynamiken entstanden, die einfach interessant sind und aus denen heraus ich versucht habe, das 6. Jahrhundert neu zu interpretieren.“

Die Religion hatte einen extrem hohen Stellenwert erhalten, beschreibt Meier. Alles ist göttlicher Wille. Der Kaiser Gottes Stellvertreter. Das Römische Reiche ist ein spezieller, von Gott geschützter Raum, der von Heiligen bevölkert wird.

Die Pest wurde als eine von Gott gesandte Katastrophe gesehen. (Foto: IMAGO, imago images/UIG)
Die Pest wurde als eine von Gott gesandte Katastrophe gesehen.

Neue Sichtweise von Völkerwanderungen

Auch das Ende der Völkerwanderung fällt in diese Zeit. Und auch sie interpretiert Mischa Meier neu. Sie sei nicht das Ausnahmephänomen, als das sie lange beschrieben wurde, sagt er.

Mobilität habe in dieser Zeit eine besondere Rolle gespielt und es seien auch viele Stämme unterwegs gewesen. Doch die alten Vorstellungen, dass irgendwann um die Zeitenwende herum in Skandinavien irgendwelche Leute aufgebrochen und dann 400 Jahre später an den Grenzen des Römischen Reiches angekommen sind, hält Meier für unrealistisch:

„So einfach hat das nicht funktioniert.“

So sei auch die Wanderbewegung der Hunnen von Ost nach West zwar ein bedeutender Faktor in der Geschichte der Völkerwanderung, sagt Mischa Meier. Wichtig sei aber auch fest zu stellen, dass nicht nur die Hunnen mit ihrer Sippe unterwegs gewesen sind. Es seien zu dieser Zeit ständig Volksstämme in Bewegung gewesen – aus den verschiedensten Gründen.

In einem viel beachteten und noch dazu sehr gut lesbaren Buch über die Völkerwanderung hat der 50-Jährige seine Forschungsergebnisse für ein breites Publikum zugänglich gemacht.

Laut Mischa Meier waren die Hunnen in der Spätantike nicht das einzige Volk, das seinen Standort wechselte. (Foto: IMAGO, imago images/AGB Photo)
Laut Mischa Meier waren die Hunnen in der Spätantike nicht das einzige Volk, das seinen Standort wechselte.

Erfundener Lexikon-Eintrag über Fußball

Mischa Meiers Bücher und seine Art zu arbeiten seien inspirierend, schwärmt sein Habilitand Peter Zeller. Meier arbeite ergebnisoffen und habe genau deshalb die Sicht auf die Spätantike revolutioniert. Er habe durchaus einen literarischen Anspruch an seine Arbeiten, bestätigt Mischa Meier. Meier hatte schon in jungen Jahren mit einem erfundenen Lexikon-Eintrag über Fußball sein Faible für Geschichten gezeigt.

Als studentische Hilfskraft sollte Meier für das bekannte Geschichtslexikon „Neuer Pauly“ Einträge von Wissenschaftlern überarbeiten und dann Korrektur lesen. Zum Spaß hat er dann einfach selbst noch einen Artikel über ein fiktives Stichwort geschrieben:

Apopudobalía:
Antike Sportart, wohl eine frühe Vorform des neuzeitlichen Fußballspiels. (…) für das frühe 4. Jahrhundert vor Christus in Korinth belegt. In späthellenistischer Zeit scheint der Sport auch nach Rom gelangt zu sein.“

Sein damaliger Chef habe das zwar gemerkt, das aber lustig gefunden und deshalb kommentarlos so an die Zentralredaktion geschickt. So sei das es tatsächlich in das Lexikon gekommen. Dieser Eintrag zum Fußballspiel ist heute eines der bekanntesten sogenannten „U-Boote“ der modernen Lexikografie.

„Ich bin schon irgendwie der Überzeugung, dass Geschichtsschreibung auch ein bisschen was mit Literatur zu tun hat. Und das versuche ich schon irgendwie zumindest in Monografien umzusetzen.“

2,5 Millionen Euro erhält der Tübinger Professor für Alte Geschichte als Leibnizpreisträger 2022.
Und das Geld will Meier nutzen, um an seinen Themen weiter zu forschen und Nachwuchswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzustellen. Denn so könne er Themen in Zukunft noch breiter erforschen. Interessant sei zum Beispiel die Frage, wie das Klima sich auf die Geschichte ausgewirkt hat. Dafür wolle er verstärkt mit Naturwissenschaftlern zusammenarbeiten.

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