Nicht für die Schule, sondern für das Leben wollen Schülerinnen und Schüler lernen. (Foto: IMAGO, IMAGO/imagebroker)

Kommentar

BW-Schüler*innen fordern mehr lebenspraktisches Wissen

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)

Die Schule soll mehr aufs Leben vorbereiten – und alte Zöpfe wie Religionsunterricht und stures Abfragen von bekannten Fakten abschneiden – das ist die Hauptforderung des baden-württembergischen Landesschülerbeirates in seinem neuen Grundsatzprogramm.

Zum Erreichen dieser Ziele braucht es einen raschen und mutigen Umbau, denn das derzeitige Schulsystem ist nicht zukunftsfähig – so die vernichtende Analyse der Schülerinnen und Schüler. Eine Kommentar von Anja Braun aus der SWR Wissenschaftredaktion:

Schulbildung legt Fundament für die Zukunft

Mit dem Grundsatzprogramm setzen sich jetzt die Betroffenen – oder in diesem Zusammenhang besser Leidtragenden selbst – zur Wehr: Sie fordern in der Schule mehr lebenspraktisches Wissen zu vermitteln und auch die Bedingungen fürs Lernen deutlich zu verbessern. Und das sind wir ihnen auch schuldig. Die Qualität unserer Schulbildung legt das Fundament für die Zukunft – nicht nur des Einzelnen, sondern auch für die Prosperität des ganzen Landes.

Schülerinnen und Schüler wünschen sich, dass die Lehrpläne praxisorientierter werden. (Foto: IMAGO, imago images/Shotshop)
Schülerinnen und Schüler wünschen sich, dass die Lehrpläne praxisorientierter werden.

Mehr Rüstzeug zum Erkennen von Fake News und Propaganda

In Zukunft brauchen Schülerinnen und Schüler andere Kompetenzen, um zum Beispiel Fake News einzuordnen und Propaganda im Netz zu entlarven. Deshalb fordern sie eine Stärkung der politischen Bildung und mehr Zeit zur Vermittlung demokratischer Werte. Dazu fordern sie die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer in sämtlichen Schularten zu stärken. Das ist wichtig, denn diese Generationen werden ganz anders als Vorhergehende mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche konfrontiert und regelrecht überschwemmt.

Nicht für die Schule, sondern für das Leben wollen Schülerinnen und Schüler lernen. (Foto: IMAGO, IMAGO/imagebroker)
Nicht für die Schule, sondern für das Leben wollen Schülerinnen und Schüler lernen.

Ethische Bildung wichtig in Zeiten globaler gesellschaftlicher Umbrüche

Es scheint sinnvoll, ihnen bei der Orientierung durch Werte zu helfen. Dass ihnen der reine Religionsunterricht dabei ein Dorn im Auge ist, das ist nur verständlich. Die Zeit im Lehrplan könnte durch ethische Bildung und politische Bildung besser genutzt werden, um die Kids fit zu machen für die globalen Umbrüche in der Gesellschaft.

Religion bleibt dabei ja ein Bestandteil der ethischen Bildung – nur nicht unter dem Glaubensaspekt, sondern unter dem Wissensaspekt. Mehr lebenspraktisches Wissen – das ist was über dem gesamten Grundsatzprogramm steht und es ist leider nicht das erste Mal, dass das von Schülerinnen und Schülern gefordert wird.

Die Welt ist komlex und wird immer komplexer. Diesem Umstand sollte der Unterricht versuchen, zumindest annähernd gerecht zu werden (Foto: IMAGO, imago/Ikon Images)
Die Welt ist komlex und wird immer komplexer. Diesem Umstand sollte der Unterricht versuchen, zumindest annähernd gerecht zu werden

Wirtschafts-Unterricht in der Schule hat zu wenig Praxisbezug

Schon 2015 ging der Tweet einer 17 Jährigen viral mit dem Inhalt: "Ich hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen –aber ich kann ne Gedichtanalyse schreiben – in vier Sprachen." Mittlerweile werden die grundlegenden Strukturen des Wirtschaftssystems in der Schule vermittelt, aber immer noch viel zu selten wie private Investitionen getätigt werden können, was man bei einem Versicherungsabschluss beachten muss und wie eine Steuererklärung funktioniert. Das sei bitter nötig, denn die kommenden Generationen müssten zum Beispiel früh privat fürs Alter vorsorgen, betonen die Schülerinnen und Schüler.

Schüler*innen fordern Qualitätskontrollen für Lehrpersonal

Und damit haben sie Recht. Es geht nicht darum, wie die baden-württembergische Kultusministerin Schopper konterte, dass Lehrerinnen und Lehrer eine ausführliche Steuerberatung übernehmen oder Anlageempfehlungen machen. Aber in der Schule sollte erklärt werden, wie so etwas grundsätzlich funktioniert und auf welche vertrauenswürdigen Quellen man für mehr Information zugreifen kann. Das scheint machbar und wir auch teilweise schon gemacht. Aber es hängt zur Zeit vom Einsatz der einzelnen Lehrkraft ab, ob und wie das vermittelt wird. Deshalb ist auch noch ein weiterer Punkt erwähnenswert, und zwar der Wunsch der Schülerinnen und Schüler nach einer Qualitätskontrolle des Lehrpersonals.

Die Qualität des Unterrichts hängt auch von den jeweiligen Lehrkräften ab. Soll das Lehrpersonal ebenfalls Schulnoten bekommen? (Foto: IMAGO, imago/Westend61)
Die Qualität des Unterrichts hängt auch von den jeweiligen Lehrkräften ab. Soll das Lehrpersonal ebenfalls Schulnoten bekommen?

Die sollten immer zum Ende eines Schulhalbjahres eine Rückmeldung von ihren Schülerinnen und Schülern bekommen – anonym und natürlich so geführt, dass es zu einer aussagekräftigen Beurteilung der Lehrkompetenz kommt. Diese Beurteilung kann dann der Lehrkraft selbst und der Schulleitung aufzeigen, wo es möglicherweise Verbesserungsbedarf gibt.

Damit steht die uralte Forderung nach mehr Qualitätskontrolle im Klassenzimmer wieder einmal auf dem Tapet. Und natürlich haben sie damit auch Recht. Eine Beurteilung ist wichtig, zielführend und zukunftsweisend. Gerade angesichts der Bemühungen möglichst viele Menschen als Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen zu holen – auch als Quer- und Seiteneinsteiger – scheint es sinnvoll, so ein Feedback durch die Schülerinnen und Schüler einzuholen.