Aufnahme unterwasser: Grüne Seegrashalme bewegen sich im flachen Meer. (Foto: IMAGO, IMAGO / imagebroker)

Süßes Seegras

Forschende entdecken Unmengen Zucker am Meeresboden

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Florian Guthknecht
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Lilly Zerbst

Forschenden aus Bremen gelingt eine überraschende Entdeckung: Zwischen den Wurzeln von Seegraswiesen finden sie einen riesigen Kohlenstoffspeicher – in Form von Zucker. Das ist auch für unser Klima bedeutsam.

Schätzungsweise eine Million Tonnen Zucker lagert der Meeresboden weltweit. Ein großer Teil davon sitzt unter ganz besonderen Pflanzen: Dem Seegras. Das ergibt eine neue Studie aus Bremen. Ihr zufolge ist die Konzentration von Zucker unter diesen Seegraswiesen fast 80-Mal höher als alles, was bisher im Meer gemessen wurde.

Wunderpflanze Seegras

Seegras bildet die Grundlage eines ganzen Ökosystems: Zwischen den bis zu 60 Zentimeter langen Halmen finden zahllose Unterwasserbewohner Schutz und Nahrung. Zudem reinigen die Pflanzen verschmutztes Wasser und schützen Küsten vor Erosion.

Doch Seegras hat auch ein beachtliches Potenzial beim Klimaschutz: Laut Studien speichert ein Quadratkilometer Seegras fast doppelt so viel Kohlenstoff des klimaschädlichen CO2 wie der Wald an Land, und das 35-mal so schnell.

Garibaldi-Fisch schwimmt im Seetang. (Foto: IMAGO, IMAGO / oceans-image)
Seegras kann mehr klimaschädliches CO2 speichern als Waldflächen an Land.

Außerdem arbeiten Seegräser mit speziellen Bakterien zusammen, die sie zu einer der erfolgreichsten Spezies unseren Planeten machen. Das Alter mancher Wiesen schätzt man auf 80.000 Jahre.

„Seegräser sind vor ca. 100 Millionen Jahren als die Dinosaurier noch lebten als Landpflanzen ins Meer gewandert. Und waren dann extrem erfolgreich im Meer. Wir schätzen dass es über 72 verschieden Arten weltweit gibt. Sie besiedeln jeden Kontinent außer Antarktika.“

Über Seegras ist vergleichsweise wenig bekannt

Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung bedrohen das Seegras. Bis zu einem Drittel des weltweiten Seegrasbestandes könnte bereits verloren gegangen sein, das ist vergleichbar mit dem Verlust von Korallenriffen und tropischen Regenwäldern.

Taucher sammelt Seegras-Probe am Meeresgrund. (Foto: SWR, SWR/Florian Guthknecht)
Tauchende sammelten Wasser- und Pflanzenproben, die später im Labor analysiert wurden.

Doch im Vergleich zu den Lebensräumen an Land, ist Seegras noch nicht so gut erforscht, erklärt Dr. Maggie Sogin, Leiterin der Studie am Max-Planck-Institut in Bremen. Ihr Wissenschaftsteam, zu dem auch Meeresbiologin Prof. Nicole Dubilier gehört, wollte daher mehr über diese so erfolgreiche Pflanze herausfinden. Dafür sammelten sie Wasserproben aus bewachsenen und unbewachsenen Sedimenten vor der Küste von Elba in Italien, in der Karibik, vor Belize und an der Ostseeküste bei Kiel. Später wurden diese im Labor analysiert.

Wie produziert Seegras in nährstoffarmen Sandboden so viel Biomasse?

Um zu verstehen, wie Seegras auch in nährstoffarmer Umgebung wachsen kann, wurden die Blätter im Labor tiefgekühlt und dann unter einem hochauflösenden Mikroskop untersucht.

Seegras Probe wird in einem Metallbehälter schockgefrostet. (Foto: SWR, SWR/Florian Guthknecht)
Blätter und Wurzeln des Seegrases wurden im Labor auf minus 170 Grad Celsius gefrohren.

Das überraschende Ergebnis: In den Wurzeln leben Unmengen an Bakterien, die es nur im Meer gibt. Sie sind mit der ehemaligen Landpflanze eine besondere Partnerschaft eingegangen.

Es wird vermutet, dass sich die Bakterien zunächst außen an den Wurzeln lebten und sich wohl von dem Zucker der Pflanzen ernährt haben, erklärt Prof. Nicole Dubilier. Irgendwann haben die Bakterien schafften es, in die Pflanze einzudringen. Wie genau sie das taten, ist heute noch unklar.

Sicher ist aber, dass beide Seiten von dieser Partnerschaft profitieren können: Die Pflanze nimmt CO2 aus dem Wasser auf und wandelt es mit Hilfe von Sonnenlicht in Zucker um. In den Wurzeln der Pflanze binden Bakterien Stickstoff aus dem Sediment und verwandeln es in Ammonium. Dann wird getauscht: Das Seegras erhält das Ammonium als Dünger von den Bakterien. Die Bakterien bekommen Zucker vom Seegras, damit sie Energie haben, um noch mehr Dünger herzustellen.

Warum wird der Zucker nicht vollständig abgebaut?

In den Wasserproben unter den Seegraswiesen hat das Team die höchsten Zuckerkonzentrationen gemessen. Das war zunächst unverständlich. Denn im Meerwasser ist normalerweise viel weniger Zucker, weil Mikroorganismen diesen sofort auffressen, so Dubilier.

Meeresbiologin Dr. Nicole Dubilier begutachtet eine Seegras-Probe. (Foto: SWR, SWR/Florian Guthknecht)
Meeresbiologin Prof. Dr. Nicole Dubilier erforschte die Eigenschaften der Wasser- und Pflanzenproben.

Um das Geheimnis zu lüften, maß das Team aus Bremen den Zuckergehalt des salzigen Meeresbodens. Das ist keine leichte Aufgabe: Sie entwickelten dafür völlig neuartige Geräte und Methoden – mit Erfolg. Das Wissenschaftsteam entdeckte Phenole im Zucker. Dies toxischen Verbindungen sind zum Beispiel in Rotwein enthalten und gelten für den Menschen sogar als gesund. Denn Phenole hindern Mikroorganismen am Zuckerabbau.

Seegras-Schutz ist Klimaschutz

Mit dieser Erkenntnis bekommt die Forschung eine völlig neue Dimension. Jetzt weiß man: Verschwindet das Seegras, verändert sich das Weltklima. Denn Zucker sind Kohlenstoffverbindungen. Seegras bindet in Boden, Wurzeln und Blättern also auch riesige Mengen an CO2 – dem Gas, das für die Klimaerwärmung verantwortlich ist.

Animation: Seegras bindet an seinen Wurzeln Kohlenstoff in Form von Zucker. (Foto: SWR, SWR/Florian Guthknecht)
Seegras nimmt das klimaschädliche Treibhausgas CO2 aus dem Wasser auf und wandelt es in Zucker um.

Dementsprechend lohne es sich für den Klimaschutz, Seegräser wieder aufzuforsten, sagt Prof. Nicole Dubilier. Es gilt, Millionen von Hektar an Seegras zu schützen. Denn würde der Zucker am Meeresboden abgebaut, würden bis zu 1,5 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen. Das ist so viel wie 330.000 Autos in einem Jahr ausstoßen. Ohne Seegras nimmt die Klimaerwärmung also noch mehr Fahrt auf.

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