Ein entscheidender Fortschritt bei der Behandlung von Gendefekten wird jetzt aus den USA gemeldet. Mittels Gentherapie konnte ein 11-jähriger Junge am Kinderhospital in Philadelphia von seiner angeborenen Taubheit befreit werden. Eine chinesische Forschergruppe meldet einen entsprechenden Therapieerfolg bei fünf Kindern. Eine Medizinerin der Uniklinik Tübingen hat maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen.
Eines von 500 Kindern in Deutschland kommt taub zur Welt. Bei mehr als 60 Prozent von ihnen, sagt Ellen Reisinger, Professorin an der Uniklinik Tübingen, ist ein Gendefekt dafür verantwortlich. Bei einer speziellen Unterform der genetisch bedingten Taubheit mit der Bezeichnung DFNB9 melden jetzt eine US-amerikanische und eine chinesische Forschergruppe die erfolgreiche gentherapeutische Behandlung.
Taubheit durch einen Gendefekt, der Botenstoff blockiert
Bei dieser speziellen Art der angeborenen Taubheit ist das Ohr von der Ohrmuschel bis zum Innenohr vollständig in Ordnung. Aber der Botenstoff Otoferlin, der Signale an die fürs Hören zuständigen Nervenzellen im Gehirn weiterleitet, funktioniert nicht, sagt Ellen Reisinger, deren Forschungsschwerpunkt die Gentherapie bei Taubheit ist.
Adenoviren - ein bewährtes Werkzeug der Gentherapie
Ellen Reisinger gehörte zu den ersten, die bei Mäusen den Otoferlin-Defekt mit einer Gentherapie heilen konnte. Mit derselben Technik, die jetzt auch beim Menschen erfolgreich war. Dabei kommt ein Virus zum Einsatz, das das gesunde Gen für den Botenstoff Otoferlin wie ein Taxi in die Zielzellen transportiert. Es handelt sich um ein so genanntes Adenovirus, das keine Krankheiten überträgt und praktisch völlig harmlos ist.
Bei diesen Viren werden die Virusgene entfernt und durch das Gen Otoferlin ersetzt. Dieses Gen wird dann, sagt Reisinger, in den Zellkern transportiert. Das sorgt dafür, dass der Botenstoff Otoferlin gebaut werden und dann seine ganz normale Funktion ausüben kann.
Der behandelte Gendefekt der Kinder ist sehr selten
Die Zahl der von genau diesem Gendefekt Betroffenen ist sehr klein. Zehn bis dreißig dieser Kinder - schätzt Ellen Reisinger - werden pro Jahr in Deutschland geboren. Doch sind mindestens 200 weitere Formen von genetisch bedingter Taubheit bekannt. Sind das alles Kandidaten für eine solche Gentherapie?
Seltene Krankheiten – wenig Forschung, insgesamt viele Betroffene
Koppelung von Viren erweitert Möglichkeiten der Gentherapie
Das klingt im ersten Moment eher ernüchternd. Doch die Tübinger Wissenschaftlerin sieht in der gelungenen Gentherapie für den Otoferlin-Defekt dennoch einen Meilenstein, einen entscheidenden Fortschritt für zukünftige Gentherapien. Denn die recht kleinen Adenov-Viren, die Gen-Taxis, können nur wenig genetisches Material transportieren.
Deshalb wurden für diese Studie zwei Adenoviren gekoppelt und das Gen für den Botenstoff Otoferlin auf die beiden Viren aufgeteilt. Diese Studie zeigte erstmals am Menschen, dass die beiden Genbruchstücke in der Zielzelle wieder korrekt zu einem kompletten, funktionsfähigen Gen zusammengebaut wurden.