Frühwarnsysteme für Erdbeben gibt es viele in Form von Apps auf dem Handy. Doch genau sind sie nicht. (Foto: IMAGO, /Panthermedia)

Geologie

So funktionieren Erdbeben-Frühwarnsysteme

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Stefan Troendle
Stefan Troendle, Reporter und Redakteur bei SWR Wissen aktuell und SWR2 Impuls. (Foto: SWR, SWR, Christian Koch)
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Antonia Weise

Warum sind Erdbebenvorhersagen so schwer? Auch heute sind sie immer noch nicht möglich. Was es gibt, sind unzuverlässige Vorzeichen und sehr kurzfristig arbeitende Frühwarnsysteme.

Erdbeben lassen sich grundsätzlich nicht vorhersagen, sagt Erdbebenforscher Thorsten Dahm vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam und erklärt warum:

"Die Physik oder die Geologie tut uns da leider keinen Gefallen, weil es keine verlässlichen Vorläuferphänomene vor einem starken Erdbeben gibt."

Es gibt also keine Vorwarnsignale, die vor einem großen Erdbebenereignis beobachtet werden können. Das was aber in Sachen Erdbeben mal mehr, mal weniger gut funktioniert, sind bestimmte Frühwarnsysteme. Diese arbeiten fast alle nach einem ähnlichen Prinzip.

So funktionieren Frühwarnsysteme für Erdbeben

Bei einem Erdbeben entstehen vor allem zwei Arten von Wellen – die schnellen und für Menschen kaum wahrnehmbaren Primärwellen (P-Wellen) und die etwas langsameren Sekundärwellen (S-Wellen), die die Zerstörungen bei einem Beben verursachen.

Zwischen dem Eintreffen dieser beiden Wellen können je nach Entfernung vom Epizentrum des Bebens ein paar Sekunden bis zu einer Minute liegen. Wenn nun die Sensoren eines Alarmsystems P-Wellen in einer bestimmten Stärke entdecken, schlagen sie vollautomatisch Alarm. Oft reicht dann noch die Zeit, um Sirenen auszulösen, Züge und Liftsysteme anzuhalten, Gasleitungen abzusperren oder Ampeln auf Rot zu schalten, bevor es anfängt, richtig zu beben.

Kartenausschnitt der Anatolischen und die Arabische Platte, die zu Erdbeben führen (Foto: picture-alliance / Reportdienste, | dpa-infografik GmbH)
Erdbeben treten häufig an den Grenzen tektonischer Platten auf. Beim Erdbeben in der Türkei bewegten sich die Anatolische und die Arabische Platte aneinander vorbei.

Frühwarnung per Smartphone

In Mexiko-Stadt wurde 1991 das erste derartige System in Betrieb genommen, das „Sistema de Alerta Sísmica Mexicano“. In Japan betreiben die Wetteragentur und die Japan-Railways-Unternehmen ähnliche Systeme auf der Basis von im ganzen Land verteilten Seismographen. Kommt ein Beben, werden Menschen über das Smartphone alarmiert.

In Kalifornien und anderen Staaten an der amerikanischen Westküste gibt es das Quake-Guard-System, das Menschen bei Beben ab Stärke 4,5 mit der Smartphone-App MyShake voralarmiert. Die University of California (Berkeley) hat sogar Versuche gestartet, die Bewegungssensoren in Smartphones über diese App zur Alarmierung zu nutzen. Melden sich viele Handys zur gleichen Zeit, deutet das auf ein Beben hin.

Nur liefern eben all dieses Systeme keine Vorhersagen – sie weisen nur darauf hin, dass innerhalb sehr kurzer Zeit ein Beben kommen wird. Versuche, die Beben vorauszusagen gibt es viele – genau sind sie alle nicht.

Die Erdbebenwarn-App ist in den USA direkt im Handy verfügbar. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, / ASSOCIATED PRESS | Richard Vogel)
Die Erdbebenwarnanwendung auf dem Smartphone in Los Angeles alarmiert die Nutzer bei Gefahr.

In Italien brachte es ein Erdbebenforscher zu einer gewissen Berühmtheit, der am Freitag, den 4. April 2009, ein schweres Erdbeben in der Region Sulmona in den Abruzzen vorhergesagt hatte. Italiens oberster Katastrophenschutzchef Bertolaso beschimpfte den Wissenschaftler noch am gleichen Abend öffentlich als Vollidioten. Zwei Tage später bebte die Erde im rund 50 Kilometer entfernten L’Aquila. Das Beben der Stärke 6,3 forderte damals mehr als 300 Tote.

Der Forscher hatte vermehrten Austritt des Edelgases Radon gemessen, das vor größeren Beben oft aus der Erde austritt und ein merkwürdiges Verhalten von Kröten beobachtet, die sich fünf Tage vor dem Beben von ihren Laichplätzen zurückzogen.

35 Jahre früher krochen in der chinesischen Großstadt Haicheng nach leichten Erdstößen mitten im Winter Schlangen aus ihren Verstecken. Die Behörden entschieden, die Stadt zu evakuieren. Ein Tag später bebte die Erde – circa 2.000 Menschen starben. Laut Schätzungen wären es ohne Evakuierung wohl 150.000 gewesen.

Können Ziegen Erdbeben vorhersagen?

Merkwürdiges Verhalten gibt es auch bei Säugetieren, zum Beispiel bei Ziegen, die immer einige Stunden vor Vulkanausbrüchen am Ätna auf Sizilien Deckung in einem Wald gesucht haben. Der Verhaltensbiologe Martin Wikelski von der Universität Konstanz hat die Tiere deswegen schon vor acht Jahren mit GPS-Sendern ausgestattet:

"Wir müssen natürlich jetzt einfach nach vorne arbeiten und wir brauchen ein großes Ereignis nach dem anderen, dass sie das voraussagen. Denn je öfter sie es voraussagen desto besser wird es – also wie beim Wetterbericht."

Ziegen in der Nähe des Vulkans Ätna auf Sizilien wurden mit GPS-Sendern ausgestattet, um ihre Bewegungsmuster zu erfassen. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, /dpa)
Das Verhalten der Ziegen am 12. Januar 2012 veränderte sich sechs Stunden bevor der Vulkan Ätna Lava spuckte. Ein tierisches Frühwarnsystem?

Wikelski hat sich sein Vorhersagemodell sogar patentieren lassen. Nur kann man eben nicht sämtliche Erdbebengebiete der Welt mit Ziegen ausstatten  und dann überwachen. Die sicherste Methode zur Erdbebenvorhersage ist daher immer noch die Kartierung gefährdeter Gebiete. Dadurch können Forscher recht genau sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich wo ein Erdbeben ereignen wird. Nur den genauen Zeitpunkt kennen sie eben nicht.

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