Psychische Gewalt

Stalking: Anzahl an Betroffenen geht nicht zurück

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INTERVIEW
Prof. Harald Dreßing
Martin Gramlich
ONLINEFASSUNG
Ralf Caspary
Ralf Kölbel

Forscher des Mannheimer Zentralinstituts für Seelische Gesundheit zeigen in einer neuen Studie: Die Zahl der von Stalking Betroffenen bleibt konstant.

Das englische Wort "to Stalk" kommt ursprünglich aus der Jägersprache und heißt übersetzt so viel wie: jagen, heranpirschen, hetzen. Aus dieser Übersetzung erklärt sich dann auch der bei uns geläufige Begriffe "Stalking", den man verwendet, wenn jemand einem anderen Menschen nachstellt, ihn verfolgt oder mit Psychoterror bedroht.

Seit den Neunzigerjahren ist Stalking überhaupt erst als Begriff eingeführt und wird auch wissenschaftlich untersucht. Seither sind auch die Gesetze zum Thema Stalken verschärft worden, zweimal: 2007 und 2017. Auch präventive Möglichkeiten für die Behörden sind ausgeweitet worden. Trotzdem sind die Zahlen in den letzten Jahrzehnten kaum zurückgegangen. Das haben Professor Harald Dreßing und sein Team vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim in mehreren Befragungen seit 2003 herausgefunden.

Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Ja, in der Tat. Es ist eigentlich international die erste Studie überhaupt, die mit einer identischen Methode, mit denselben Fragebögen operiert. Es handelt sich also um eine seriöse Langzeitstudie. Wir haben diese Studie zunächst einmal wissenschaftlich völlig hypothesenfrei begonnen.

Es kann sein, haben wir angenommen, das Phänomen ist seit 2003 gleich häufig vorhanden. Es kann sein, es ist seltener geworden, weil es Gesetze gibt und Beratungsstellen. Eine andere Hypothese lautete auch, es ist leicht mehr geworden, weil das Thema bekannter geworden ist, weil es auch neue Methoden gibt, wie zum Beispiel Cyber Stalking, also Stalking in sozialen Medien.

Cyber Stalking in sozialen Medien ist eine neue Form des Nachstellens und Verfolgens. (Foto: IMAGO, imago images / Ikon Images)
Cyber Stalking in sozialen Medien ist eine neue Form des Nachstellens und Verfolgens.

Etwas überraschend war das Ergebnis für uns dann schon, weil wir fast punktgenau die gleichen Zahlen repliziert haben wie vor 15 Jahren. Was einerseits zeigt, dass die Ergebnisse schon sehr valide sind. Also wir erheben nicht irgendwelche unbedeutenden Zahlen, sondern es scheint offensichtlich einen festen Bodensatz von Menschen zu geben, die andere Menschen stalken. Und offensichtlich sind auch Gesetze wenig geeignet, was zu ändern.

Wie groß ist der Prozentsatz an Betroffenen?

Wir sprechen davon, dass elf Prozent der Menschen einmal im Leben Opfer von Stalkern werden.

Warum sinken die Zahlen nicht trotz verschiedener Maßnahmen und Gesetzesänderungen?

Stalking ist ein kriminelles Delikt, so wie Mord, Diebstahl, Körperverletzung oder Sexualdelikte. Das steht ja auch im Strafgesetz-Buch. Und wir wissen und gehen davon aus, dass Straftatbestände auch eine präventive Wirkung haben sollten, also sie sollten Menschen davor abschrecken, solche Straftaten zu begehen.

Aber trotzdem gibt es auch bei den eben genannten Straftaten eine sehr stabile Quote, wie häufig solche Straftaten vorkommen. Und es scheint eben beim Stalken genau so zu sein, dass die präventive Wirkung von Gesetzen doch relativ bescheiden ist. Das ist ein interessantes Ergebnis. Die Täter werden nicht durch juristische Aspekte abgeschreckt.

Strengere Gesetze scheinen nicht vor Stalking abzuschrecken. (Foto: IMAGO, imago/Ikon Images)
Strengere Gesetze scheinen nicht vor Stalking abzuschrecken.

Sind die die neuen technischen Möglichkeiten im digitalen Bereich ein Grund für die gleichbleibend konstante Zahl an Stalkern?

Da muss ich mit Nein antworten. Diese Methoden von Cyber Stalking, also Stalking in sozialen Netzwerken, die sind neu. Aber es sind dadurch keine "neuen" Opfer hinzugekommen. Und nach wie vor sorgen sich Stalking-Opfer weiter wegen der Telefonanrufe, dem Auflauern und so weiter. Also wir haben zwar eine neue Methode mehr aber letztendlich nicht mehr Betroffene. Das wäre nur dann der Fall, wenn es eine exklusive Gruppe gäbe, die wirklich nur von diesem Cyber Stalking betroffen ist. Und das ist offensichtlich nicht der Fall.

Durch die digitalen Medien hat sich die Zahl der Stalkingbetroffenen nicht unbedingt erhöht. (Foto: IMAGO, blickwinkel/McPhotox/ErwinxWodickax)
Durch die digitalen Medien hat sich die Zahl der Stalkingbetroffenen nicht unbedingt erhöht. Es ist nur eine neue Methode der Verfolgung hinzugekommen.

Wie kann Stalking Opfern geholfen werden?

Wir haben beginnend mit der Publikation der ersten Studie viel Aufklärungsarbeit geleistet, auch bei der Polizei, bei Staatsanwaltschaften, in der Öffentlichkeit. Und das Bewusstsein, dass es sich da wirklich um ein ernstes Problem handelt, hat zugenommen. Aber vielleicht doch nicht in ausreichendem Maße.

Die Angst vor Verfolgung hat massive Auswirkungen auf das Alltagsleben von Betroffenen (Foto: IMAGO, imago images / Panthermedia)
Die Angst vor Verfolgung hat massive Auswirkungen auf das Alltagsleben von Betroffenen

Ist das Strafmaß bei Stalking zu gering?

Ich bin als Gutachter auch in vielen Prozessen tätig, wo es zum Beispiel um die Tötung von Partnern geht. Und da sieht man sehr häufig im Vorfeld, dass da immer auch Stalking im Spiel gewesen ist. Und wenn man schaut, wie hat die Polizei, wie haben Gerichte auf dieses Stalken reagiert, muss man sagen, doch oft nicht wirklich mit hinreichender Schärfe.

Also meine Hoffnung wäre: Wenn da früher und massiver durchgegriffen würde, könnte sich der eine oder andere eskalierende Verlauf zumindest verhindern lassen.

Stalking (Foto: SWR, Model Foto: Colourbox.de -)
Wenn ein Stalker merkt, dass sein Opfer auf ihn reagiert, kann das für ihn eine wichtige Bestätigung sein. Denn jetzt kann er die Gefühle seines Opfers verstehen.

Sie bieten in Mannheim am Zentralinstitut eine Spezialambulanz an für Menschen, die von Stalking betroffen sind. Wie sieht das aus?

Viele Betroffene entwickeln wirklich psychische Symptome, Angststörungen, Depressionen oder so etwas wie eine posttraumatische Stresserkrankung. Wenn das Telefon läutet, bekommen sie eine Panikattacke.

Und da sieht die Hilfe so aus, dass wir zunächst einmal schauen: Wo sind die befreienden Ressourcen der Betroffenen? Was können sie sinnvoll tun, um sich dem Stalker zu erwehren? Und wie kann man ihre Psyche, ihre Befindlichkeit verbessern? Wie kann man ihre Selbstwirksamkeit stärken.

Weitere Informationen und Hilfsangebote finden Sie bei der Ambulanz für Menschen, die von Nachstellung betroffen sind auf den Internetseiten des ZI Mannheim.

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