Teller, umringt von frischen Lebensmiteln – Gemüse, Fleisch, Lachs: Wer sich gesund und bewusst ernähren will, sollte möglichst viele frische, unverarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen. Die liefern nicht nur Energie in Form von Kalorien, sondern versorgen den Körper auch mit Vitaminen und Ballaststoffen. (Foto: IMAGO, IMAGO / Zoonar)

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Die Kalorien-Lüge – Wie viel Energie brauchen wir wirklich?

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AUTOR/IN
Max Rauner
ONLINEFASSUNG
Lena Dillenburg
Candy Sauer

Für eine gesunde Ernährung gilt angeblich: 2.000 Kalorien am Tag sind angemessen. So steht es auf vielen Lebensmittelverpackungen. Die Zahl stimmt aber nicht. Eigentlich brauchen wir mehr.

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Kalorienangaben werden in unserem Alltag immer sichtbarer. Sie sind auf Lebensmitteln im Supermarkt angegeben und werden von Fitness-Apps getrackt. In Großbritannien müssen große Restaurantketten sogar für jedes Gericht die Kalorien angeben.  

Woher kommt die Zahl 2.000 Kalorien?

Selbst in der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung werden 2.000 Kalorien am Tag empfohlen. In den 1990ern hat die Food and Drug Administration entschieden, etwas gegen das Übergewicht in den USA zu unternehmen. Ziel war es, den täglichen Kalorienbedarf zu ermitteln. Aus Umfragen hatte die Behörde einen Mittelwert von knapp 2.400 kcal berechnet. Das war der erste Fehler, weil Menschen in Umfragen regelmäßig unterschätzen, wie viel sie gegessen haben. Und zweitens hat die Behörde den Wert auf 2.000 abgerundet, weil man Angst hatte, dass kleine und schlanke Frauen sonst dazu ermutigt werden, mehr zu essen als vorher.

Nährwertangaben auf einer Milchpackung: Durchschnittserwachsene benötigen angeblich 2.000 Kilokalorien täglich. Stoffwechselforscher halten die Maßgabe von 2.000 Kilokalorien pro Tag und Erwachsenen für Unsinn. Trotzdem basieren Nährwertangaben auf Lebensmitteln noch immer auf dieser Vorgabe. (Foto: SWR, Candy Sauer)
Durchschnittserwachsene benötigen angeblich 2.000 Kilokalorien täglich. Stoffwechselforscher halten die Maßgabe von 2.000 Kilokalorien pro Tag und Erwachsenen für Unsinn. Trotzdem basieren Nährwertangaben auf Lebensmitteln noch immer auf dieser Vorgabe. Bild in Detailansicht öffnen
Nährwertangaben auf einer Knäckebrotpackung. Der Hersteller gibt als "Referenzmenge für einen durchschnittlichen Erwachsenen" 2.000 kcal an.  (Foto: SWR, Candy Sauer)
Nährwertangaben auf einer Knäckebrotpackung. Der Hersteller gibt als "Referenzmenge für einen durchschnittlichen Erwachsenen" 2.000 kcal an. Bild in Detailansicht öffnen

Wie viele Kalorien verbrauchen wir wirklich?

Dass wir am Tag durchschnittlich nur 2.000 Kalorien zu uns nehmen sollten, stimmt also nicht. Mit verschiedenen Experimenten wird deshalb nachgeforscht. Zum Beispiel wird an der Universität Maastricht untersucht, wie viele Kalorien wir bei verschiedenen Aufgaben verbrauchen.

Orkan Küçükaksu ist Master-Student aus Deutschland. Er überwacht das Experiment und erklärt: "Hier vorn kommt die Luft an, die wir aus den Kammern herausfiltern. Anhand des Kohlendioxid- und des Sauerstoffgehalts kann man rückschließen, wie viele Kalorien eine Person verbraucht hat."

Empfohlen werden in der Regel mehr als 2.000 Kalorien

Wer sich mehr bewegt, verbraucht mehr Kalorien, klar. Um das in Zahlen zu fassen, hat die Wissenschaft das Physical Activity Level erfunden, abgekürzt PAL. Der Ruheenergieverbrauch multipliziert mit dem Physical Activity Level ergibt den gesamten Kalorienverbrauch. Der PAL-Wert begegnet einem zum Beispiel in den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wer im Büro arbeitet und sich wenig bewegt, hat einen PAL-Wert von 1,4. Wer körperlich hart arbeitet oder viel Sport macht, kommt auf 2,5. Das heißt, der gesamte Kalorienverbrauch pro Tag beträgt das 2,5-Fache der Ruheenergie.

Und so lautet die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Normalgewichtige Männer von 25 bis 50 Jahren brauchen 2.300 bis 3.000 kcal täglich und Frauen 1.800 bis 2.400 kcal.

Hat der Lebensstil Einfluss auf den täglichen Energieverbrauch?

Der Evolutionsanthropologe Hermann Pontzer ist Außerordentlicher Professor für evolutionäre Anthropologie und globale Gesundheit an der Duke University in Durham in North Carolina. Er hat den Kalorienverbrauch der Hadza erforscht, eines Jäger-und-Sammler-Volks in Tansania.

Zu seiner Überraschung unterschied sich deren Energieumsatz pro Kilogramm Körpergewicht gar nicht sehr von der dem von Büroangestellten. Er erklärt das mit einem Vergleich zwischen dem Körper und einem Unternehmen:

Unsere Organe, die Verdauung, das Gehirn, das Immunsystem sind in seinem Beispiel die verschiedenen Abteilungen und die Kalorien sind die Währung. Wenn jemand Hochleistungssport macht, leiht sich die Muskel-Abteilung zum Beispiel Energie vom Immunsystem. Man ist dann anfälliger für Infekte. Oder von der Abteilung für Fortpflanzung. Es kann sein, dass dann bei Frauen die Periode ausbleibt, wenn sie sich körperlich extrem verausgaben. Umgekehrt brauchen Menschen, die krank sind, mehr Energie fürs Immunsystem. Sie fühlen sich schlapp und bewegen sich weniger. So wird Energie ständig hin und her geschoben.

Was sind gute und schlechte Kalorien?

In den USA hat Kevin Hall an den National Institutes of Health ein viel beachtetes Experiment gemacht und Freiwillige vier Wochen lang beobachtet. Wenn die Versuchspersonen hochverarbeitete Lebensmittel vorgesetzt bekamen, nahmen sie pro Tag 500 kcal mehr zu sich, als wenn sie Mahlzeiten aus frischen Zutaten essen durften.

Viel wichtiger als die Anzahl an Kalorien sei also die Qualität der Lebensmittel, sagt Anja Bosy-Westphal. Sie ist Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Professorin für Humanernährung an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Dort wurden in einem Experiment hochverarbeitete Lebensmittel mit zusätzlichen Proteinen untersucht.

Hochverarbeitete Produkte sind oft reich an Fett, Salz, Zucker und einfachen Kohlenhydraten. Sie haben eine hohe Energiedichte und tricksen vermutlich die Signalwege zwischen Verdauung und Gehirn aus. Man isst in kurzer Zeit einfach zu viel Zeug. An der Uni Kiel bekommen die Versuchspersonen beim Aufenthalt in der Kammer hochverarbeitete Lebensmittel zu essen. Beim anderen Aufenthalt sind diese zusätzlich mit Protein angereichert.  (Foto: SWR, Max Rauner)
Hochverarbeitete Produkte sind oft reich an Fett, Salz, Zucker und einfachen Kohlenhydraten. Sie haben eine hohe Energiedichte und tricksen vermutlich die Signalwege zwischen Verdauung und Gehirn aus. Man isst in kurzer Zeit einfach zu viel Zeug. An der Uni Kiel bekommen die Versuchspersonen beim Aufenthalt in der Kammer hochverarbeitete Lebensmittel zu essen. Beim anderen Aufenthalt sind diese zusätzlich mit Protein angereichert.

Von den proteinangereicherten Produkten haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tatsächlich im Durchschnitt 200 kcal pro Tag weniger konsumiert als von den herkömmlichen Fertigprodukten. Anja Bosy-Westphal sieht in den Proteinprodukten aber trotzdem keine Alternative, denn sie seien teuer und es fehle ihnen an Mikronährstoffen.

In Brasilien gibt es schon eine neue Nahrungsmittelskala, die sich vor allem auf die Verarbeitung von Lebensmitteln konzentriert. Rohkost und naturbelassene Lebensmittel stehen darin ganz oben und hochverarbeitete Lebensmittel auf Stufe 4. Wie viele Kalorien ein Mensch braucht, ist also unterschiedlich. Statt nur auf die Anzahl der Kalorien zu achten, sollte man besser versuchen, frische Nahrungsmittel zu essen und auf hochverarbeite Lebensmittel zu verzichten.

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