Durchschnittlich jeder vierte Ausbildungsvertrag wird vorzeitig gelöst
In Deutschland sind rund 15 Prozent aller 20- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss. Unter Hauptschülern sogar jeder dritte. Gleichzeitig suchen Handwerk und Industrie händeringend Nachwuchs. 2021 blieben 63.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Eine paradoxe Situation, die sich die Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels eigentlich nicht leisten kann. Wie passt das zusammen?
Geringe Bezahlung, körperliche Arbeit, Schichtbetrieb – Ausbildungsberufe haben in Deutschland derzeit ein großes Imageproblem. Hinzu kommt, dass viele Jugendliche gar nicht erst wissen, was sich hinter der Vielzahl von Ausbildungsberufen verbirgt.
Berufsmessen und Praxistage bieten Orientierung für die richtige Ausbildung
Insbesondere junge Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss erfahren derzeit zu wenig Unterstützung in der Berufswahl. So betont es Claudia Burkhard, Projektmanagerin von "Bildung und Next Generation" der Bertelsmann-Stiftung. Gerade für Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Haushalten seien Berufsmessen und praktische Orientierungstage sehr wichtig, um eine bessere Vorstellung von der Arbeitswelt zu bekommen.
Hohe fachliche Ansprüche und bürokratische Barrieren erschweren die Ausbildung
Hinzu kommt, dass viele Betriebe auf einem Mittleren Schulabschluss als Einstellungsvoraussetzung beharren. Die Folge: Viele Stellen bleiben unbesetzt, trotz eingereichter Bewerbungen.
Ausbildungs-Coaching verbessert Abschluss-Chancen deutlich
Insbesondere Auszubildende mit Migrations- und Flucht-Hintergrund haben es deshalb nicht leicht: Sprachbarrieren und hohe fachtheoretische Anforderungen erschweren ihren Ausbildungsprozess. Obwohl viele bereits praktische Erfahrungen aus dem Heimatland vorweisen können.
Davon berichtet Theresa Bischof. Sie ist Ausbildungs-Coach bei "Arrivo", einem Projekt der Berliner Innung Sanitär, Heizung, Klima (SHK). Seit 2017 unterstützt Arrivo junge Auszubildende, die meisten davon mit Flucht-Geschichte. Neben gezieltem Förderunterricht hilft Bischof beim Ausfüllen bürokratischer Formulare und vermittelt zwischen Betrieb und Ausbildungsseite. Und das mit sichtbarem Erfolg: Von den 147 Azubis, die das Programm seit 2017 durchlaufen haben, haben nur 15 abgebrochen. 132 dagegen haben ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen.
Berufsausbildung mit Zukunft: flexibler und individueller
Zwar stellt die zunehmende Heterogenität unter den Auszubildenden neue Herausforderungen für Industrie und Handwerk dar, allerdings bietet sie auch Anlass, das veraltete Ausbildungsmodell neu zu denken: Weniger homogen, sondern personalisierter. Ein System, das nicht bloß auf Schulnoten schaut, sondern auch die persönlichen Stärken, Bedürfnisse und Interessen der Auszubildenden miteinbezieht. Auf diese Weise könnte auch das Image von Ausbildungsberufen verbessert und der gegenwärtige Fachkräftemangel überwunden werden.
SWR 2022