JetztMusik - Glossar

Unbestimmtheit

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1958 hielt John Cage während der Weltausstellung in Brüssel den Vortrag Indeterminacy. Er erschien im selben Jahr unter dem deutschen Titel Über Komposition, deren Aufführung nicht festgelegt ist, was deutlich macht, worum es Cage geht: um die schöpferische Mit-Arbeit des Ausführenden. Bei der Realisation von Musikstücken der Unbestimmtheit, der Indetermination, der Indeterminacy ist der Interpret sozusagen ein vom Autor erwünschter Mit-Komponist. Anders als in den Stücken, deren Details durch das Zufallsorakel des I Ging ermittelt, aber dann für die Ausführung gültig notiert wurden, liegen den Cage‘schen Unbestimmtheitsstücken Konzepte zugrunde, anhand derer sich die Interpreten erst eine eigene Aufführungspartitur erarbeiten müssen. Zum Beispiel sind das bei Variations I (1958) bedruckte Transparent-Folien, die übereinandergeworfen werden müssen, um aus der sich so ergebenden Konstellation gemäß gewisser Spielregeln Tonhöhen, Tondauern, Strukturen usw. zu ermitteln. Oder es handelt sich um Objets trouvés, um grafisch interessante Natur- und/oder Alltagsdinge, die es bei der Aufführung zu interpretieren gilt: Bei der Music for Carillon No. 5 (1967) sind es abfotografierte Holzbretter mit zusätzlichen
schwarzen Längslinien auf deren Maserung, und in den Song Books (1970) liefern u. a. Landkarten das optische Ausgangsmaterial für die akustische Interpretation. Die ästhetische Nähe zur Aleatorik und zur Offenen Form ist offensichtlich. Gleichwohl präsentieren sich Werke aus dem weiten Feld der Unbestimmtheit – Cage hat viele Erben und Nachahmer – noch offener, bloß impulsgebend. Die Intention des Komponisten tritt noch weiter zurück. Cages Vortrag Indeterminacy ist nicht identisch mit dem ebenfalls 1958 verfassten Stück Indeterminacy für einen Sprecher, einer Sammlung von insgesamt 30 kurzen (Zen-)Geschichten und Anekdoten, von denen jede jeweils innerhalb einer Minute vorzutragen ist. Wie? Das steht dem Interpreten frei.

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AUTOR/IN
SWR