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Neue Einfachheit

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„Das Ei wurde, glaube ich, auf einer Toilette im WDR gelegt, da jemand beim Drücken offensichtlich die Idee hatte, ein Festival so zu nennen.“ Das Konzertwochenende innerhalb der WDR-Reihe „Musik der Zeit“, auf das der Komponist Wolfgang Rihm anspielt, fand im Januar 1977 im Funkhaus Köln statt: Sein Titel: „Neue Einfachheit“. Gespielt wurden Stücke von John Cage, Erik Satie, Earle Brown, Marc Monnet, Michael von Biel, Frederic Rzewski, Walter Zimmermann, Morton Feldman, Hans Zender, Bernd Alois Zimmermann, Mauricio Kagel, Steve Reich und Ulrich Stranz. Mit einer Ausnahme allesamt Namen, die fortan nicht mit der sogenannten „Neuen Einfachheit“ assoziiert werden. Das ist samt dem damals beteiligten Stranz anderen vorbehalten:
Hans-Jürgen von Bose, Hans-Christian von Dadelsen, Wolfgang von Schweinitz, Detlev Müller-Siemens, Manfred Trojahn und Wolfgang Rihm. Diese sieben westdeutschen Komponisten – die „Neue Einfachheit“ ist ein BRD-Phänomen – erklärte letztlich der Musikjournalismus der 1970er Jahre zu Zentralfiguren angeblicher Schlichtheit. Wie sie – bisweilen gehörten auch Peter-Michael Hamel, Jens-Peter Ostendorf, Manfred Stahnke zum Umfeld – zu der dubiosen Nobilitierung gekommen sind, wissen die Stigmatisierten jedoch selber nicht. Sie entstammen weder einer kompositorischen „Schule“, noch haben sie je eine gebildet. Sie haben kein gemeinsames Programm verfasst, noch verfolgten sie dieselben ästhetischen Ziele (was ihre Stücke beredt demonstrieren). Es sei denn, Expressivität, subjektives Wollen, mehr oder weniger deutliche Referenzen an die Musikgeschichte wären schon ausreichende Kriterien, um von einer ästhetischen Bewegung sprechen zu können.

Gemeinsam ist besagten Komponisten, dass sie sich stets gegen diese Etikettierung gewehrt haben. „Wir haben keine Lust, in ein und demselben Topf zu garen, aus dem dann eine neue Volksküche wird.“ (Rihm) Die Einsprüche zeigten indes keine Wirkung. Die Journaille kreierte weitere fragwürdige Begriffe wie „Neue Innerlichkeit“, „Neo-Romantik“, „Neo- Tonalität“, „Neue Sensualität“ als Synonyma zur „Neuen Einfachheit“. Ein Schlagwort, das in kritikloser Darstellung schon in einigen Musiklexika zu
finden ist, das zur Klassifizierung einer Musiker-Gruppe oder kompositorischen Sachverhalten nicht taugt, ein inhaltlich völlig unnützer Begriff.

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AUTOR/IN
SWR