Album-Tipp

Sol Gabetta spielt Mendelssohn: „So einfach und unverstellt“

Stand
AUTOR/IN
Christine Lemke-Matwey
Christine Lemke-Matwey (Foto: Pressestelle, Martin Schoberer)

Mendelssohns Repertoire für Cello und Klavier ist überschaubar. Zwei Sonaten, ein Variationenwerk, ein Lied ohne Worte und ein Albumblatt. Eine gute Stunde Musik. Sol Gabetta und Bertrand Chamayou haben sich die fünf Werke nun vorgenommen, und das Ergebnis ist sensationell. Wer jemals Vorbehalte gegen Mendelssohn hatte, wird sie hier verlieren!

Audio herunterladen (11,3 MB | MP3)

Wird hier schön gesungen! So empfunden, so einfach und unverstellt. Ein „Lied ohne Worte“ von Felix Mendelssohn – und wenn er schon keine Worte braucht, wozu mache ich dann eigentlich welche? Wobei es viel zu sagen gibt zur großartigen neuen Aufnahme von Sol Gabetta und Bertrand Chamayou.

Ohne Kitsch!

Die Kunst bei Mendelssohn besteht darin, emotional nicht auf die Tube zu drücken. Denn dann wird‘s kitschig, was Mendelssohn überhaupt nicht ist.

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta und der französische Pianist Bertrand Chamayou beherrschen diese Kunst. Ihr Mendelssohn-Spiel ist schlackenlos, völlig frei von allen Rührseligkeiten – einfach, indem sie die Musik wirklich ernst nehmen.

Ihr Mendelssohn-Spiel ist schlackenlos, völlig frei von allen Rührseligkeiten.

Ja, ja, ich weiß, dass sagen heute alle, dass sie keine Vorurteile gegenüber Mendelssohn haben; stimmt aber nicht. Denn dann würde er ja immer so hinreißend klingen, wie hier, was er nicht tut; so explosiv und impulsiv und mitten aus dem Leben gegriffen.

Gabetta und Chamayou verstehen sich blind

Was für ein Furor, was für ein nervöser, drängender, pochender Puls! Und welche Klangintensitäten dabei, was für ein Ton! Zu Beginn der zweiten Cello-Sonate von Felix Mendelssohn kann man besonders gut hören, wie blindlings sich Gabetta und Chamayou verstehen.

Sie gehen ins Risiko – gemeinsam; sie springen – weil sie wissen, der/die andere kann auch fliegen; und sie horchen genau hinein in die Rhetorik und die Farben der Musik, die eben auch mal richtig düster sein können. Und im zweiten Satz, im Allegretto scherzando – hat man je eine grimmigere Elfenmusik gehört? 

Sol Dabetta zu Besuch im Brahms-Haus Baden-Baden

Bereits das dritte gemeinsame Album

„Mendelssohn“ ist das dritte Album, das Sol Gabetta und Bertrand Chamayou zusammen machen, und ausgerechnet mit Mendelssohns zweiter Cello-Sonate fing alles an, vor 18 Jahren.

Hier haben sich also zwei gefunden, sind einander auch treu geblieben, allen künstlerischen Wachstumsprozessen und Entwicklungsschüben zum Trotz. Oder gerade deswegen!?

Hier haben sich also zwei gefunden.

Auch die Wahl der Instrumente reflektiert das: Gabetta spielt ein Stradivari-Cello und Chamayou ein Blüthner-Fortepiano – oder sie kombinieren ein Goffriller-Cello mit einem Steinway D.

Mit auf der CD: Zeitgenössischen Auftragswerke

Neben drei anderen zeitgenössischen Komponisten – Heinz Holliger, Jörg Widmann und Francisco Coll – ist Wolfgang Rihm dem Ruf Sol Gabettas gefolgt und hat ein Auftragswerk geschrieben, ein heutiges „Lied ohne Worte“ nach Mendelssohn.

Keine schlechte Idee, das 19. ins 21. Jahrhundert zu transferieren auf diese Weise – für mich aber hätte es das, bei allem Respekt, nicht gebraucht. 

Für mich aber hätte es das, bei allem Respekt, nicht gebraucht.

Vielleicht ist das „Lied ohne Worte“ doch eine etwas aus der Zeit gefallene Gattung; vielleicht ist Mendelssohns Kammermusik aber auch so stark, so frisch, so vital, dass man als Zeitgenossin des 21. Jahrhunderts gar nichts vermisst. Zumal bei solchen Interpreten nicht. Sol Gabetta und Bertrand Chamayou mit „Mendelssohn“ – fünf Punkte!

Album-Tipp Hörbare Seelenverwandtschaft: Bertrand Chamayou spielt Satie und Cage

Auf seiner neuen Solo-CD bringt Bertrand Chamayou Erik Satie und John Cage zusammen. Es ist Musik, die aus der Stille kommt und fasziniert.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2

Weltstars in Baden-Baden Besuch bei Brahms: Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout im Brahmshaus

Es ist immer wieder etwas Besonderes, wenn Musik dort erklingt, wo sie damals erschaffen wurde. So ist es mit der e-Moll Sonate von Johannes Brahms passiert: Zwei Weltstars, Cellistin Sol Gabetta und Pianist Kristian Bezuidenhout, haben im letzten Spätsommer das Brahmshaus Baden-Baden besucht und dort die Sonate am Entstehungsort eingespielt. Lena Hofbauer war Teil dieser besonderen Produktion.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2