Musikmarkt: Buch-Tipp

Neo Rauch illustriert Richard Wagners „Lohengrin“-Libretto

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Eva Hofem

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Wagners romantische Oper „Lohengrin“ erzählt die schicksalhafte Geschichte der Elsa von Brabant und ihres „Schwanenritters“ Lohengrin. Jetzt ist das Libretto in einer Neu-Edition beim Verlag C. H. Beck erschienen – eindrucksvoll und poetisch illustriert von den Arbeiten des Künstlerehepaares Neo Rauch und Rosa Loy. Für Eva Hofem „ein Buch zum Staunen“.

Man könne ja meinen, es handele sich bei dieser Neuerscheinung von Richard Wagners Romantischer Oper „Lohengrin“ einfach nur um alte Worte im neuen Gewand. Doch weit gefehlt! Denn der altehrwürdige Librettotext ist so geschmackvoll und bezaubernd illustriert, dass sogar Wagners detailreiche, aber zuweilen langatmig werdende Szenenanweisungen mit ein bisschen blauer Farbe zu einer Märchenwelt erwachen.

Eine Aue am Ufer der Schelde bei Antwerpen: der Fluß macht dem Hintergrunde zu eine Biegung, so daß rechts durch einige Bäume der Blick auf ihn unterbrochen wird, und man erst in weiterer Entfernung ihn wiedersehen kann. Im Vordergrunde links sitzt König Heinrich unter einer mächtigen alten Eiche; ihm zunächst stehen sächsische und thüringische Grafen, Edle und Reisige, welche des Königs Heerbann bilden. Gegenüber stehen die brabantischen Grafen und Edlen, Reisige und Volk, an ihrer Spitze Friedrich von Telramund, zu dessen Seite Ortrud. Mannen und Knechte füllen die Räume im Hintergrunde.“

Doch es handelt sich hier nicht um ein bebildertes Märchenbuch, sondern um die Bühnenbild- und Kostümskizzen der aktuellen Bayreuther Lohengrin-Inszenierung. Premiere hatte sie 2018. Da sind durch die Fachpresse Fotos gewandert, die eine Bühne komplett in Blau zeigen: Blaues Licht, blauer Samt, blaue Perücken. Angelehnt sei dies an den Ausspruch von Friedrich Nietzsche, der im Lohengrin narkotische Wirkungen erkannt haben will und diese mit der Farbe Blau gleichsetzt. Auch wenn die Kritik an dem Konzept von Regisseur Yuval Sharon gespalten bis gelangweilt reagierte, tut das den großformatigen Bühnenbildern vom Leipziger Star-Maler Neo Rauch keinen Abbruch. Und genau darum geht’s in diesem, fast möchte man sagen „Bildband“: Bühnenbildrückwände als eigenständige Kunstwerke. Über den Zusammenhang zwischen Bühnenraum und Bildender Kunst äußert sich auch der Lohengrin-Dirigent Christian Thielemann in einer Einführung, die im Buch abgedruckt ist:

Ich hatte schon lange den Wunsch, die ganze Bühne auszunutzen. Denn mir ist immer aufgefallen, dass der «Lohengrin» trotz seiner Chormassen sehr oft in sehr engen Räumen gespielt wird. Warum eigentlich? Hat man Angst vor der Weite und Tiefe der Bühne? Können Regisseure mit Entfernungen nicht mehr umgehen, Bühnenbildner nicht mehr mit Dimensionen? Kein Problem, sagte Neo Rauch, ich mache einen Rundhorizont, ich bemale große Prospekte. Und so war es. Am Ende, zur Gralserzählung, lag Piotr Beczala, unser Lohengrin, ganz hinten auf dem Boden. Und seine Stimme kam wie aus dem Nichts."

Thielemann gibt in dieser Einführung aus seinem Buch „Mein Leben mit Wagner“ unter anderem Einblicke in die Entstehungsgeschichte der Oper, in musikalisch wichtige Themen und in seine bevorzugten Referenzaufnahmen. Das liest sich alles vergleichsweise persönlich und zugewandt.

Den «Lohengrin» hat Wagner in dem Bewusstsein komponiert: Einmal und nie wieder! Danach macht Wagner Tabula rasa und fängt beim «Rheingold» noch einmal ganz von vorne an. Beim «Lohengrin» sagt er: Ich schreibe jetzt die schönste und melodiöseste Oper, die ihr euch vorstellen könnt, ihr dürft alle in Milch und Honig baden, ich serviere der Welt einen echten Theaterknaller, ich statte die Sänger mit lauter dankbaren, süffigen Partien aus (was sonst gar nicht meine Art ist) – aber dann muss Schluss sein! Dann tanzt ihr nach meiner Pfeife, dann werde ich euch zeigen, was es mit dem «Kunstwerk der Zukunft» wirklich auf sich hat."

Der lockere Schreibstil macht es leicht, Thielemanns Ausführungen zu folgen, auch wenn es nichts an den gelegentlich etwas unverständlichen politischen Wirren der Uraufführung ändert.

Die Abbildungen der Bühnenbilder sind in bester Qualität und ganzseitig gedruckt, was die Acryl- und Ölgemälde auch im kleinen Format fast schon haptisch zur Geltung kommen lässt. Ebenso wie die Kostümentwürfe von Rosa Loy: Keine einfachen Bleistiftzeichnungen, sondern wahre Kunstwerke in Aquarelltechnik sind das, bis ins kleinste Rocksaumdetail. Und dennoch tut es dem Betrachter gut, den doch recht zeit- und inszenierungslosen Begleittext von Thielemann für ein besseres Lohengrin-Verständnis zu Rate zu ziehen.

„Lohengrin kommt in eine schwächelnde, erschlaffte Welt als jemand, der etwas reparieren soll. Neo Rauch und Rosa Loy erzählen mit heutigen Mitteln eine alte Geschichte, und wie sie das machen, in ihrer ureigenen Ästhetik, das hat mir ungemein gefallen. Wovon diese Geschichte handelt? Von uns. Von unserer Sehnsucht nach Antworten auf drängende Fragen. Von den Guten, die gut bleiben, und den Bösen, die von Anfang bis Ende böse sind. Manchmal ist es ehrlicher, die Dinge klar voneinander zu scheiden, als sie zu vermischen und halbherzige Kompromisse zu formulieren. Das habe ich in dieser Aufführung gelernt.“

Auch wenn es „nur“ ein Libretto ist – durch die emotionalen, melancholischen, aber dennoch schimmernden Bilder von Neo Rauch und Rosa Loy wird Wagners Text aufgebrochen. Aus einem reinen Dramentext wird ein Buch zum Staunen und Anfassen. Der hochwertige Leineneinband und die dicken Papierseiten tun gemeinsam mit den beruhigenden Blautönen ihr Übriges. Ein Buch zum Schmökern und Gernhaben eben.

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Eva Hofem