Musikstück der Woche

Simon Höfele und das Kurpfälzische Kammerorchester mit Alessandro Marcellos Konzert d-Moll

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AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf

Als 1983 der französische Teeniefilm und Kassenschlager „La Boum 2“ mit der 16jährigen Hauptdarstellerin Sophie Marceau in die Kinos kommt, werden Klassikfans bei einem Filmsong hellhörig.

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3 Akkorde mit Wiedererkennungswert

Die britische Band „Cook da Books“ hat vom Filmkomponisten Vladimir Cosma den Zuschlag bekommen, während einer Konzertszene den extra für den Soundtrack komponierten Pop-Schmachtfetzen „Your Eyes“ zu spielen. Der Refrain beginnt mit 3 aufwärts gebrochenen Septakkorden, die der klassisch ausgebildete Hitlieferant Cosma nicht extra erfinden muss. Die ausgesprochen charakteristische Tonfolge hat bereits einen weiten Weg durch die Musikgeschichte hinter sich.

Schon Bach borgt sich die Melodie aus

Johann Ernst IV. aus dem Hause Sachsen-Weimar, ein Musikbegeisterter Regent mit Begeisterung für Italien, stellt Johann Sebastian Bach wohl ein Konvolut italienischer Konzert-Partituren zur Verfügung, die der Komponist prompt für das Spiel auf Tasteninstrumenten bearbeitet. Auch das d-moll Konzert BWV 974 gehört zu einer Reihe von Bearbeitungen, die zunächst mit Verweis auf eine ursprüngliche Urheberschaft Vivaldis erscheinen. Die wunderschöne Melodie des langsamen Satzes beginnt mit jenen aufsteigenden Akkorden, die viel später im Teeniehit „La Boum 2“ auftauchen. Aber stammt der Ohrwurm-Einfall wirklich von Vivaldi?

Die Quellen scheinen zunächst eindeutig

Erst lange nach Bachs Tod, im 20. Jhd., wächst das Interesse an den Quellen, die Bach eigentlich verwendet hat. Und als in einer Sammlung in Schwerin ein Oboenkonzert aus dem frühen 18. Jhd. auftaucht, das auf einen „Marcello“ verweist, geht man schnell davon aus, dass es sich hier um die eigentliche Vorlage handelt. Als Urheber wird der venezianische Komponist Benedetto Marcello identifiziert, Sprößling einer Kaste von steinreichen Patriziern, die Venedig kulturell und politisch an der Wende zum 18. Jhd. dominieren. Auch Vivaldi führt Stücke für die Marcellos auf.

Eine neue Spur

Erst als eine Abschrift des Konzerts in der British Library als Teil einer Sammlung von 1717 entdeckt wird, werden Zweifel an Benedetto Marcellos Urheberschaft laut. Zwar verweist auch diese Sammlung auf „Marcello“, lässt sich aber dem älteren Bruder Benedettos zuordnen: dem enorm breitgefächert wirkenden Alessandro Marcello.

Ein Mensch, viele Talente

Alessandro Marcello ist umfassend gebildet, er ist wie die meisten Marcellos in Venedig Jurist, Politiker, Ratsmitglied, aber er ist noch viel mehr: Erfinder, Instrumentensammler, Astrologe, Dichter, Maler, laborierender Chemiker und Musiker. Viele biografische Informationen über den vielseitig begabten Alessandro erschließen sich Forschenden erst über die Lektüre seiner zahlreichen Epigramme, kleiner lateinischer Gedichte, die er in mehreren Bänden herausbringt, und die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jhds. mit Hilfe der Deutung astronomischer Konstellationen Rückschlüsse auf sein Geburtsdatum (das jahrhundertelang falsch überliefert wird) zulassen.

Alessandro Marcello ist nicht nur der Erfinder einer Geheimschrift, die mit Hilfe von gestanzten Löchern in Papier bei der Verschlüsselung von Botschaften helfen soll (im diplomatischen Venedig mit vielen politischen Komplotten ist man geradezu besessen von Geheimschriften), Alessandro Marcello wird mit seinem heute berühmtesten Werk auch zum Stifter einer ganzen Gattung: des virtuosen Oboenkonzerts.

Das Ohrwurmrezept

Und, mit drei aufsteigenden Septakkorden, zum Hitformellieferanten für Nachahmer: Bachkonzert oder Teenieschmachtfetzen im französischen Popcornkino, das Rezept ist ziemlich ähnlich…

Simon Höfele ist einer der spannendsten Trompeter der jungen Generation. Er ist Preisträger des Sonderpreises „U21“ des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD und des Deutschen Musikwettbewerbs 2016, sowie ehemaliges „New Talent“ im Förderprogramm von SWR2 . Ab 2017 war Simon Höfele daneben BBC Radio 3 New Generation Artist, ist weltweit als Solist gefragt und zudem erfolgreicher Podcaster.

Das Kurpfälzische Kammerorchester wurde 1952 vom ehemaligen Generalmusikdirektor des Mannheimer Nationaltheaters Eugen Bodart gegründet. Es sieht sich als Nachfolger der Hofkapelle der Kurfürsten von der Pfalz und widmet sich der Pflege der Mannheimer Schule. Das Orchester tritt nicht nur weltweit auf, sondern veranstaltet auch eine eigene Konzertreihe im Rittersaal des Mannheimer Schlosses.

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