Musikstück der Woche vom 3. bis 10. August 2009

Klang der Vergänglichkeit

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Matthias Weckmann: Wie liegt die Stadt so wüste

Musik ist die vergänglichste der Künste: Kaum entsteht der Klang, erstirbt er wieder. Matthias Weckmanns Concerto "Wie liegt die Stadt so wüste" ist ein musikalisches Bild der Vergänglichkeit. In unserer Aufnahme vom Februar 2008 singen Johanna Koslowsky und Markus Flaig. Konrad Junghänel leitet das Instrumentalensemble von Cantus Cölln.

"Wie liegt die Stadt so wüste, die voll Volks war!" so beginnen die Klagelieder des Jeremia, in denen die Zerstörung Jerusalems und des Tempels (um 586 v. Chr.) besungen wird. Verwüstete Städte, zerstörte Felder, Gewalt, Krankheit, Verlust und Vergänglichkeit – das war für die Zeit, in die der Komponist Matthias Weckmann hineingeboren wurde, eine ganz alltägliche Erfahrung.

In der Nacht zum 14.02.1945 griffen amerikanische und britische Flugzeuge Dresden an (Archivfoto von 1945)
Zerstörte Stadt: Dresden 1945

In den ersten 27 Jahren seines Lebens wütete in Deutschland der Dreißigjährige Krieg. Am Hof von Dresden, wo Weckmann als Kapellknabe unter Heinrich Schütz seine musikalische Ausbildung erhielt, wird er schon früh solche Erfahrungen gemacht haben. Schütz schickte seinen Schüler 1637 nach Hamburg, um sein Orgelspiel zu perfektionieren. Nach einigen Jahren Organistentätigkeit in Dresden und Dänemark wurde Weckmann dann 1655 Organist und Kirchenschreiber an der Kirche St. Jacobi in Hamburg.

Weckmanns geistliches Konzert „Wie liegt die Stadt so wüste“ stammt aus dem Jahr 1663. Es ist zu seinen Lebzeiten nicht im Druck erschienen und lediglich in einer Handschrift überliefert. Weckmann teilte die Bibelverse auf zwei Singstimmen auf – Sopran und Bass – und kombinierte sie so miteinander, dass die beiden in einen Dialog treten.

Die Musik bündelt die Ausdrucksmittel, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts zur Verfügung standen: Sie kombiniert den affektgeladenen Sologesang, in dem sich eine Singstimme frei deklamierend über einem akkordischen Fundament entfalten kann, mit ostinaten Abschnitten, die den melodischen Fluss auflockern. Wirkungsvoll gesetzte Pausen verleihen dem Text Nachdruck. Einzelne Worte wie „sie weinet“ sind mit besonderen melodischen Wendungen oder Verzierungen hervorgehoben. Den letzten Abschnitt, in dem Sopran und Bass zum Duett zusammenkommen, gestaltet Weckmann mit harmonisch besonders kühnen Rückungen und regelrechten Brüchen, und auch die chromatischen Linien, die sich quälend emporschrauben, sind ein Ausdruck der Klage und der Erschütterung. 

Cantus Cölln

Cantus Cölln wurde 1987 von dem Lautenisten Konrad Junghänel gegründet,; er leitet das Ensemble bis heute. Die Stammbesetzung besteht aus fünf solistischen Sängern, die seit vielen Jahren miteinander Musik machen und dabei einen ganz charakteristischen, schlanken und durchsichtigen Klang geprägt haben. Cantus Cölln widmet sich in erster Linie der deutschen und italienischen Vokalmusik aus Renaissance und Barock, und das Ensemble hat in den letzten dreißig Jahren mit vielen großartigen Entdeckungen unser Konzertrepertoire bereichert. Die meisten der fast 30 CD-Produktionen wurden mit internationalen Preisen gewürdigt, darunter dem „Edison Award", dem "Diapason d'Or" und dem "Grand Prix du Disque". Für seine Einspielung von Monteverdis "Selva morale e spirituale" wurde Cantus Cölln im Jahr 2002 gleich mit drei hochrangigen Preisen ausgezeichnet: mit dem "Grammophone Award", dem "Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik" und dem "Caecilia Price".

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Doris Blaich