Donaueschinger Musiktage 2011 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2011: "Kleine Welt Maschine (Donaueschingen)"

Stand
AUTOR/IN
Jens Brand

Die Auflösung einer Dateninformation bezeichnet nicht deren Verschwinden, sondern den Grad an Genauigkeit und Detail. Geht eine Auflösung – ein Genauigkeitsgrad – gegen unendlich, verfügt also über eine unermessliche Dichte, wird er infolge unserer Begrenztheit nicht genauer, sondern hermetisch. Darin sind die Formen, die aus einer Einheit bestehen, mit denen identisch, die aus unendlich vielen Einheiten bestehen. Die sich dazwischen befindlichen Skalen lassen hingegen viel Platz für Definition und Spekulation, die man als Wissenschaft oder auch als Kunst bezeichnen mag. Beides begeistert mich als eine verwandte Form von Wahnsinn, der die Menschen weiter bringt bzw. näher an den Moment der unendlichen Auflösung führt. In meiner Arbeit betrachte ich oft den Augenblick der Auflösung, des Auf- und des Abtauchens von Dingen und Vorstellungen, was ich mit dem eigens erfunden Terminus der "Verschwindung" bezeichne.

Jens Brand Illustration zur Donaueschinger Weltmaschine

In der Welt der erfundenen Dinge, zu der auch die Welt der Worte gezählt werden kann, gibt es jene, die über die Zeit zur Notwendigkeit wurden (wie z.B. das Rad, der Refrain oder der Schuh), und jene, die erfunden wurden, weil es manchmal einfacher ist, etwas zu erfinden, als das Bestehende zu restrukturieren (wie z.B. das Brötchen, die Musique concréte oder den Transrapid). Das Erfinden neuer Worte erfolgt meist aus der gleichen Motivation wie die Erfindung anderer Dinge, die es noch nicht zu geben scheint, aber eigentlich schon gibt oder die niemand braucht. Die Verschwindung ist oft Teil der mich faszinierenden Werke, die von der grundlegenden Interpretation der Welt der Wahrnehmung handeln. Wie so viele andere begeistert auch mich das schwarze Quadrat (Malewitsch), das "Stille Stück" (Cage) und das Pissoir (Duchamp). Ich denke, dass diese Positionen der Kunstgeschichte keine Einbahnstraßen oder Endstationen darstellen, sondern Anfänge, die diejenigen, die sich dafür interessieren, zu einem besseren Missverstehen von Welt und ihrer Wahrnehmung führen. Die "Kleine Welt Maschine Donaueschingen" basiert auf Überlegungen, die sich zum einen aus Paul DeMarinis "Edison Effect", zum anderen auch aus meinen Versuchen ableiten, die Erde abzuspielen. Nicht unerheblichen Anteil an der Idee der Auflösung ist dabei auch den "Drone"-Werken des amerikanischen Komponisten Phill Niblock zuzuschreiben.

Die Installation inszeniert den Leuchter des Spiegelsaals im Museum Biedermann als zentralen Teil einer Maschine, die verschiedene Modelle von Welt in unterschiedlicher Auflösung abspielt. Je nachdem, von welcher Warte man es betrachtet, ist Donaueschingen ebenso eine "kleine Welt" wie das Zentrum der Erde oder ein Pixel im Rauschen des Kosmos. Die Donaueschinger Maschine ist zugleich Werkzeug und – wie so oft – Metapher für die Versuche, die Dinge, die uns umgeben, in einen Ablauf einzufügen, der erfassbar und interpretierbar scheint. Darin unterscheidet sich die "Kleine Welt Maschine" in nichts von den großen Verwandten, wie etwa dem CERN, der zur Zeit wohl größten Maschine der Welt. Die zur Betrachtung verwendeten Informationen manifestieren sich in drei Schallplatten – einem der letzten Mohikaner unter den vertrauten Datenträgern des analogen Zeitalters. Der Output der Maschine ist ein Klangbild, die Mechanik eine Skulptur. Die Informationen stammen aus dem Kontext des Banalen, des Absurden und der gemessenen Wirklichkeit.

Die Installation besteht aus drei sich unterschiedlich bewegenden Teilen einer Maschine:
(1) Einem leicht schwingenden Leuchter des Spiegelsaals im Museum Biedermann, der als Abspielnadel für einen (2) Schallplattenspieler fungiert, dessen kreisende Bewegungsgeschwindigkeit und Richtung von zwei Schrittmotoren an die Ellipse des Leuchters angeglichen wird (ähnlich der Bewegung beim "scratchen"), und (3) einem unter dem Schallplattenspieler befindlichen rotierenden Lautsprecher. Der Leuchter wird während eines Ausstellungstages in drei verschiedene Höhen gezogen. Das Abspielmedium sind drei goldene Schallplatten, die in der jeweiligen Informationsdichte den unterschiedlichen Entfernungen des Leuchters entsprechen.

Die drei Einstellungen sind wie folgt:

  • A: Hoch hängender Leuchter: Endlose Auslösung Auf die Schallplatte ist eine topographische Karte der Erde graviert. Im Zentrum (also im Loch der Schallplatte) befindet sich Donaueschingen.
  • B: Mittlere Höhe des Leuchters: Mittlere Auflösung Die Schallplatte ist eine Kopie der Goldenen Voyager-Schallplatte "Sounds of the Earth". Die Datenplatte wurde in der Hoffnung hergestellt, intelligente außerirdische Lebensformen könnten durch sie von der Menschheit und ihrer Position im Universum erfahren, auch wenn die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist und die Menschheit dann vielleicht nicht mehr existiert. Die 95 Stücke, die zu hören sind, reichen von Vogelgezwitscher, begrüßenden Worten bedeutender Landesvertreter und Stücken Johann Sebastian Bachs bis zu Pygmäengesängen und einem Lied von Chuck Berry. Mit 90 Minuten Audioinformation ist die Schallplatte extrem eng beschrieben.
  • C: Tief hängender Leuchter: Niedrige Auflösung Auf der Schallplatte befindet sich ein 3-minütiges Lied des Country Sängers Gene Autry aus dem Jahr 1931 mit dem Titel "That silver haired daddy of mine". Das Stück hatte infolge seiner Popularität die Plattenfirma American Record Cooperation veranlasst, dem Künstler eine vergoldete Schallplatte als Symbol des Erfolges zu überreichen und damit das Konzept dieser Trophäe begründet.
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Jens Brand