Die Donaueschinger Musiktage stellen als eines der Forschungslabors der Musikwelt alljährlich unterschiedliche Fragen an die klangliche Materie. In diesem Jahr nähert sich ihr das Festival aus der Perspektive eines Phänomens, das erst seit Erfindung der Elektrizität und neuerdings verstärkt durch die neuen Informationstechnologien in unser Bewusstsein gerückt ist. Die Rede ist vom Verhältnis zwischen dem, was jenseits der bewussten Wahrnehmung immer klingt, von jenem gestaltlosen, unbestimmten, ungerichteten, immerwährenden Etwas, das wir als kosmisches Rauschen bezeichnen, und jenen gestalteten akustischen Ereignissen, die wir auf ästhetischer Ebene "Musik" nennen.
Das Rauschen als Materie der Musik
Die Instrumente der analogen Technologien wie Mikrophon, Verstärker, Tonabnehmer oder Schallplatte haben das Rauschen zur zentralen Kategorie des 20. Jahrhunderts gemacht und die digitalen Medien, die Medien des 21. Jahrhunderts, die in der Lage sind, den Schall nicht nur aufzuzeichnen, sondern auch zu codieren, erlauben dessen Analyse und verankern das Rauschen so noch tiefer in unserem Bewusstsein, so dass heute nicht nur die Unterscheidung zwischen bloßem Rauschen und Signal, also zwischen Störung und beabsichtigtem Effekt, neu zu definieren wäre, sondern auch die Qualität dieser beiden Erscheinungen, die sich wechselseitig beeinflussen. Laut Nikolaus Cusanus ist "jedes Seiende das kontrahierte Ganze". Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass das Rauschen die Materie der Musik ist, dass alle Musik in diesem Rauschen enthalten ist, dass Musik gewissermaßen erst durch einen Schnitt des Komponisten aus diesem Rauschen herausgeschnitten und in Form, in Stil, verwandelt wird.
"Hintergrund und Ereignis", die thematische Klammer der diesjährigen Donaueschinger Musiktage, benennt zwei extreme Positionen dieses Verhältnisses von Rauschen und Struktur, das wahrnehmungspsychologisch auch als Wechselverhältnis zwischen Untergrund und konkreter Wahrnehmungsgestalt, zwischen literaler Schicht unserer Wahrnehmung und reflexivem Akt, also Bewusstmachung, zwischen Perzeption und Apperzeption, informationstheoretisch als Rauschen und Information, musikalisch als Geräusch und Ton umschrieben werden könnte.
Mittlerweile ist dieses Phänomen Forschungsgegenstand in verschiedensten Disziplinen. Insofern ist es nur konsequent, wenn die diesjährigen Donaueschinger Musiktage mit "Dasein und Sein", "Kunst und Alltag", "Etwas und Nichts", "Teil und Ganzes", "Information und Entropie", "Musik und Geräusch", "Klang und Stille", "Schärfe und Unschärfe", "Hintergrund und Vordergrund", "real und imaginär" nicht nur musikalische Wechselverhältnisse aufgreifen, sondern auch solche aus der Physik, der Akustik, der Nachrichtentechnik, der Informationstheorie, der Medienwissenschaft und der Philosophie.
Der Hintergrund wird zum Vordergrund
Mit den neuen digitalen Technologien haben sich nicht nur die Fragestellungen an diese Ebenen verändert, sondern auch deren Verhältnis zueinander – bis hin zur Verkehrung der Verhältnisse, ihrer Inversion: das was, bislang Hintergrund war, wird zum Vordergrund und umgekehrt. In der Musik hat uns diese Verdrehung zum ersten Mal John Cage mit seinem Stille-Stück 433 bewusst gemacht, als er 1952 das uns umgebende Rauschen, die vermeintliche Stille, zur Musik erklärte und damit das bis dahin herrschende paritätische Parameterdenken in Frage stellte. Seither wird der Schnitt in das Rauschen häufig genug als bloße Zeitangabe, als Dauer definiert.
Peter Ablinger hat in seinem diesjährigen Donaueschinger Projekt eben dieses Phänomen aufgegriffen und den oben beschriebenen Schnitt in das Rauschen "Heute vor 18 Monaten" (so einer der Arbeitstitel seines Altar-Projektes) gesetzt. Seine Verdichtungen, seine Filtervorgänge erinnern uns an die zugrundeliegende Einheit des Klanges. Grundlage seiner Kompositionshaltung ist der Übergang vom selektiven Musikdenken zur nicht-linearen Wahrnehmung.
Einheit von Signal und Rauschen
In diesem Sinne trifft er sich mit den Anschauungen eines Antoine Beuger, Vadim Karassikov, Georg Nussbaumer, Bernhard Leitner, Rolf Julius, Georg Friedrich Haas, Dror Feiler, Walter Zimmermann oder jenen des Duos eRikm und Christian Fennesz in der Jazz-Session. Es ist die Absage an eine Musik als "Aussage vor einem Hintergrund" durch ein Konzept, "das die prinzipielle Einheit von Signal und Rauschen, Medium und Empfänger" einfordert. Die Anschauung als solche wird selbst Gegenstand des Konzepts. Bei Antoine Beugers 48-Stunden-Konzert "wort für wort (geraum)", ist nicht der Klang, sondern der Schnitt selbst der Gegenstand der kompositorischen Tätigkeit. Wie auch Vadim Karassikov oder Bernhard Leitner, ignoriert er eine musiksprachliche Rhetorik und gibt so Empfindungen für die Präsenz des Klanges und für die Körperlichkeit der Stille frei. Für ihn wie für Rolf Julius heißt Komponieren nicht mehr "Differenzen und Differenzverkettungen erfinden, sondern Ausschnitte schaffen" (Beuger). Im Zentrum ihres Interesses steht nicht, wie so häufig fälschlicherweise behauptet wird, der Umgang mit Stille, sondern jenes Phänomen, in dem das Erscheinen der Klänge mit ihrem Verschwinden zusammenfällt. Deshalb übertitelt Vadim Karassikov seinen Entwurf wohl auch mit "Beyond the Boundary of Silence".
Lärm und Stille im Rauschen
Lärm ist nicht etwa der Gegensatz von Stille, sondern dessen komplementäre Erscheinung innerhalb des Rauschens. In diesem Punkt treffen sich die "Schweiger" Beuger, Karassikov und Julius mit dem Bruitisten Dror Feiler. Sein zentrales ästhetisches Element ist der Lärm. Es ist ein Lärm, der immer unrein, befleckt, sekundär und, im romantischen Sinn des Wortes, schön ist. Feiler weiß, dass "noise", aus der gewöhnten Umgebung geschnitten, Auseinandersetzung fordert, den Hörer affiziert und verändert.
Ganz anders verfährt Reinhard Fuchs mit dem Wechselspiel zwischen Hintergrund und Ereignis, wenn er auf Ereignisse im Hintergrund seines Klangbildes zielt, die aber durch Übercodierungen in der Partitur wahrnehmungspsychologisch zunächst verdeckt bleiben.
"Zwischen Maus und Bleistift"
Eingebettet in diesen Kontext ist das Roundtable, das unter dem Thema "Zwischen Maus und Bleistift" (den Nietzsche-Gedanken aufgreifend, dass das Schreibzeug an unseren Gedanken mitschreibt) danach fragt, inwieweit die Digitalisierung das musikalische Denken und den musikalischen Kommunikationsprozess bereits beeinflusst.
Eine traditionsreiche Konstante der Donaueschinger Programmierung sind Experimente im technologischen Bereich. Unter diesem Akzent möchte ich für den diesjährigen Jahrgang Ihre Aufmerksamkeit auf die Werke lenken, die mit interaktiven Technologien agieren, wie jene von Pierre Jodlowski, Arnulf Herrmann, Enno Poppe und Christian Ziegler.
Zur "Musik für Hunde"
Von Volker Straebel
Das abgeschlossene Werk, von den verschiedenen Ausprägungen der "Offenen Form" der 1950er Jahre erschüttert und von John Cage in seinen "musical tools" als Spezialfall eines ganzen Feldes möglicher komponierter Realisationen vollends in der Schranken gewiesen, dient längst nicht mehr als Paradigma musikalischen Komponieren. Seine Krise steht im Wechselbezug zur Krise des Konzerts als Veranstaltungsform.
Bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen reagiert die "Musik für Hunde" auf diese kompositionsgeschichtliche Situation. Peter Ablinger, Antoine Beuger, Rolf Julius und Georg Nussbaumer haben in ihren Werken neben dem klingenden Material auch die jeweilige Aufführungssituation und Darbietungsform bestimmt. Die Wahl von Konzertstück, Performance, Installation oder Mischformen hiervon gehört ihnen ebenso zum Bereich kompositorischer Entscheidung wie die Festlegung von Instrumentation oder zu vertondendem Text.
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- Donaueschinger Musiktage 2003
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- Donaueschinger Musiktage 2003, Armin Köhler
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