Buch-Tipp

Bruno Monsaingeon – Ich denke in Tönen Gespräche mit Nadia Boulanger

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AUTOR/IN
Georg Waßmuth

Der 1943 in Paris geborene Geiger, Filmregisseur und Schriftsteller Bruno Monsaingeon ist vor allem durch seine preisgekrönten Filme über bedeutende klassische Interpreten wie Glenn Gould oder Swjatoslaw Richter bekannt geworden. Beim Verlag Berenberg ist sein neuer Band „Ich denke in Tönen - Gespräche mit Nadia Boulanger“ erschienen. Eine Sammlung von Interviews, die der Filmemacher mit der wohl bekanntesten Lehrerin vieler hunderter Komponisten führte.

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Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Wenn man die wunderschön editierte Neuerscheinung aus dem Verlag Berenberg etwa in der Mitte aufschlägt, findet sich die Reproduktion einer alten schwarz-weiss Fotografie, die ziemlich viel über Nadia Boulanger verrät.

Gemeinsam mit ihrer Schwester Lili steht sie selbstbewusst vor einem Anwesen in Paris, ca. 1910. Beide tragen Hüte so groß wie Wagenräder, dazu feinste Handschuhe und edles Tuch. Ihre Blicke sind mit einer gewissen Strenge Richtung Kamera gerichtet. Unter dem Arm trägt Nadia ein Bündel Papier, bestimmt ein gewichtiger Klavierauszug oder etwas selbst komponiertes.

 Grande Dame der europäischen Kunstmusik

„Es ist sehr gut, Musiker zu sein, sehr gut Genie zu haben, aber der innere Wert, der den Geist ausmacht, das Herz, die Empfindsamkeit, hängt davon ab, wer man ist. [...] Man kommt, ob man will oder nicht, immer wieder auf die großen Wörter zurück: Haben Sie die Gnade empfangen oder nicht?“

„Die Gnade empfangen“ hat Nadia Boulanger nach eigenem Befinden sehr wohl. Ein Leuchtturm für Komponisten, eine Lehrerin der Extraklasse, eine stilsichere Grande Dame der europäischen Kunstmusik, der man in ihrem Pariser Salon die Aufwartung machen konnte – diesen Nimbus hat die Künstlerin zeitlebens kultiviert.

Das Denkmal ihrer selbst hat der Musikjournalist Bruno Monsaigneon gleich mehrfach umrundet. Fünf Jahre lang durfte er immer mal wieder im Salon Boulanger am Katzentisch Platz nehmen und der Meisterin seine Fragen zuspielen. Die nahm den Ball stets gerne auf und entschwebte umgehend in höhere Sphären. 

Nadiaa Boulanger sitzt am Flügel mit dem linken Arm am Notenpult (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / AP Images | Murray Becker)
Nadia Boulanger 1962 am Flügel in New York im Alter von 73 Jahren.

Lebensbedürfnis Musik

Es gibt zwei Möglichkeiten, mit Musik umzugehen: Man kann gar nichts von ihr wissen und sich dabei von einer Empfindung melodischen Gefühls durchdringen lassen, von musikalischer Emotion. Und die Musik reißt einen hin, verwandelt einen; man muss vor allem diese Empfindung achten und sie nicht mit einer falschen Kennerschaft erniedrigen.

Oder man nimmt sich die Jahre, die es braucht. Fünfzehn Jahre, zwanzig Jahre, dreißig Jahre, ganz gleich. Man wird nie müde, man macht das, was man liebt, was man sich vorgenommen hat. An Tagen der Ermutigung, der Langeweile hält man es kaum mehr aus, aber man macht weiter, weil es ein Lebensbedürfnis geworden ist. 

Richtungsweisende Persönlichkeit

Zu Nadia Boulanger pilgerten ganz Heerscharen von Komponisten. Gerade bei Amerikanern gehörte es zum „guten Ton“ von der Französin auf Linie getrimmt zu werden. Obwohl sie ihr eigenes kompositorisches Können stets klein redete, war sie die personifizierte Institution. Sieben Jahrzehnte gab Boulanger in privaten Lektionen nicht nur den Takt vor, sondern auch die ästhetische Richtung. 

„Ich hoffe, dass mein Einfluss in dem allgemeinen Sinn wirksam geworden ist, dass man die Notwendigkeit einer Strenge, einer Ordnung anerkennt. Aber falls ich im Gereiht des Stils irgendeinen Einfluss ausgeübt habe, dann ihn es zu wissen und wider Willen.“

Ohne tiefe Analyse

In seinen Interviews fasst Bruno Monsaingeon die Grande Dame geradezu mit Samthandschuhen an. Jenes höhere Wesen, das wir verehren, darf nicht hinterfragt werden, sein Wertekanon ist in Stein gemeißelt. Dabei fanden einige die Gralshüterin gelinde gesagt fragwürdig und Arnold Schönberg lancierte 1948 sogar eine Polemik gegen die Französin und ihr Musikverständnis. 

Ihren Geniekult kann Nadja Boulanger in den Interviews ohne Widerrede auftürmen. Neben ihrem absoluten Fixstern Igor Strawinsky gibt es zahlreiche Hausgötter, die alle mit Haltungsnoten der strengen Lehrerin beurteilt werden. Eine tiefere Analyse, warum und wieso sie ihren Salon zum Mekka der Komponisten machen konnte, sucht man allerdings vergebens.

Fazit: Interessant aber nicht mehr

Allein sechshundert Amerikaner sollen in durch die strenge Schule der so genannten „Boulangerie“ gewandert sein. Heute klingen die Ein- und Ansichten der Madame zur Musik allerdings etwas aus der Zeit gefallen. 

Als Dokument einer Epoche ist „Ich denke in Tönen - Gespräche mit Nadia Boulanger“ jedoch interessant - nicht mehr und nicht weniger. 

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Georg Waßmuth