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Stephan Wunsch – Verrufene Tiere. Ein Bestiarium menschlicher Ängste

Stand
Autor/in
Sandra Hoffmann

Menschen haben Angst vor Tieren. Ob es nun die Angst vor Schlangen ist, die Abscheu vor Geiern oder der Ekel vor Spinnen – das menschliche Verhältnis zu vielen Tieren ist von tiefer Ablehnung geprägt.

Stephan Wunsch porträtiert zehn verrufenen Tiere. Seine Streifzüge führen ihn in die Naturkunde – und in die Abgründe der menschlichen Psyche.

Haben Sie Angst vor Haien oder Spinnen oder Schlangen? Dann bitte lesen Sie dieses Buch. Haben Sie, so wie die Rezensentin, ziemlichen Respekt vor Quallen, dann lassen Sie vielleicht einfach das Quallen-Kapitel aus, denn sonst wollen sie vielleicht nicht mehr im Meer schwimmen. Aber so oder so, gleich vorweg: lesen sie dieses Buch!

Es stellt Tiere vor, aber mehr noch das, was sie in Menschen wachrufen. Ein Bestiarium der verrufenen Tiere, das ist ein Katalog unserer Nöte, ein Spiegel unserer Bosheiten, eine Litanei unserer Zweifel, eine Landkarte offener Wunden - eine Menschenkunde in zehn Kapiteln.

Welche Tiere rufen Ängste in uns hervor?

Der Autor Stephan Wunsch geht darin den zehn Tieren nach, die er als jene aufgespürt hat, die bei den Menschen vor allem: Ängste hervorrufen. Ganz zuvorderst steht da der Hai. Er wurde nicht nur bei großen Autoren, wie Herman Melville und seiner Figur Kapitän Ahab in Moby Dick, bei Jack Londons Kapitän Larsen im Seewolf, oder in Peter Benchley Der Weiße Hai zu einer Obsession männlicher Ängste. Bis heute bringen Fischer auf der ganzen Welt ihm ihren Hass und ihre Verachtung entgegen, der sich in widerwärtigen Fang- und Harpuniermethoden spiegelt. Dabei ist der Hai vergleichsweise unschuldig an menschlichen Toden:

Um die 100 000 Menschen sterben jährlich an Schlangenbissen, 25 000 an Hundebissen; 1000 nach Krokodilangriffen, und 2000 durch Bandwürmer. Mit runden 10 Todesopfern pro Jahr liegt der Hai weit hinten, etwa gleichauf mit dem Wolf und knapp hinter dem Helmkasuar. Dennoch gehört der Hai zu den meistgefürchteten Tieren.

Schlange als Ur-Tier der Sünde

Wunsch will wissen: Warum ist das so, woher rühren die Ängste, wer oder was schürt sie, nicht nur beim Hai, sondern bei allen von ihm behandelten Tieren. Und er geht Mythen und Erzählungen nach, bisweilen ganz frühen. Bei der Schlange dienen natürlich die Bibel und der Sündenfall als erste Quelle für die listige Schlauheit des Tieres. Bei der Spinne das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens.

Darin wird berichtet, dass Wahnsinn und andere Geistesstörungen dadurch hervorgerufen würden, dass Spinnen das Gehirn der Verrückten besiedelt hätten, darin herumliefen und die Hirnwinden mit Gespinsten verklebten.

Anregend ist, wie der Autor diesen frühen schriftlichen Quellen menschlicher Ängste folgt, wie er Philosophen und Tierforscher, Bücher und Filme nach Darstellungen des jeweiligen Tieres befragt. Aber auch, wie er das, was die jeweiligen Tiere können, einfach und kompetent darstellt. Und wie er eine Sprache findet, die sich nie an der Biologie orientiert, sondern immer am literarischen Schreiben; wie gleichermaßen schön und einfach er etwa den Bau eines Spinnennetzes beschreiben kann:

Jedes Netz beginnt mit dem ersten Faden, der ersten Brücke durch die Luft, die bei manchen Arten fünf Meter überspannen kann. Am liebsten lässt sich die Spinne dabei vom Wind helfen: Sie prüft seine Richtung, klettert auf den geeigneten Ast, spult einen Faden ab und lässt ihn vom Wind zur gegenüber liegenden Seite tragen, wo er sich verfängt. Nun klettert sie zur Mitte, befestigt dort einen weiteren Faden und lässt sich damit in die Tiefe fallen - ein T entsteht. Unten angekommen, zieht sie an dem Faden, so dass sich das T zu Y verformt.

Gut recherchierte und kenntnisreiche Naturkunde

Und genau so weiter, bis man nur durch die konkrete Beschreibung des Netzbaus, nur durch die Sprache des Autors versteht, warum wir Menschen die Spinne für klug, für planvoll arbeitend, für vorausschauend und listig halten. Warum wir fasziniert ihr form- und sinnvollendetes Netz betrachten. Und warum wir sofort mit diesem ambivalenten Gefühl von Faszination und gleichzeitiger Empathie jedes Insekt beobachten, das in diese Fäden zu gelangen droht.

In der Sprache des Autors dieser sehr lesenswerten, gut recherchierten und kenntnisreichen Naturkunde gesprochen:

Da sitzt die Spinne in der Wand in ihrem Menetekel, und schweigt in unempfindlicher Selbstgewissheit. Ihr misslingt nichts, das Verhängnis ist ihre Verbündete. Sie weiß, was sie tut; wir irren und hadern.

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