Hilmar Klute – Oberkampf (Foto: Pressestelle, Galiani Verlag, (c) Jan Konitzki_mailbar)

Buch der Woche

Hilmar Klute – Oberkampf

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AUTOR/IN
Anja Höfer

Schöngeist meets Terror: Der Mittvierziger Jonas Becker ist aus einer erloschenen Beziehung von Berlin nach Paris geflohen. Hier möchte er einen Neuanfang wagen.

Er will die Biographie des alten Schriftstellers Richard Stein schreiben, und er verliebt sich in die junge Französin Christine. Aber es ist der Januar des Jahres 2015. Einen Tag nach Jonas’ Ankunft in der französischen Hauptstadt ereignet sich das islamistische Attentat auf die Satirezeitschrift Charlie Hebo.

So wird Jonas hin- und her geworfen zwischen seinem ambitionierten, weltentrückten Schreib-Projekt und der neuen gesellschaftlichen Realität einer erschütterten Nation. „Oberkampf“ ist nicht nur der Name einer Pariser Métrostation - in Hilmar Klutes Roman wird er zur Lebensmetapher. 

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Jonas Becker, der Held in Hilmar Klutes neuem Roman „Oberkampf“, ist Mitte 40 und hat gerade in Deutschland alles hinter sich gelassen: die längst erloschene Beziehung zu seiner Frau und eine selbst gegründete Experten-Agentur.

Der Neuanfang steckt voller ungeahnter Herausforderungen

In Paris will er einen Neuanfang wagen. Sein großes Projekt dort: Eine Biographie über den in Paris lebenden, österreichischen Schriftsteller Richard Stein zu schreiben. Seine bescheidene Bleibe bezieht Jonas in der Rue Oberkampf:

Oberkampf. War es ein ironischer Wink des Verlags, der ihm die kleine Wohnung angemietet hatte, damit er hier seine Herkules-Arbeit verrichtete? Sollte es eine Aufmunterung sein, alles aus sich rauszuholen, um dem Verlag ein herausragendes Buch zu spendieren, eine biographische Hochleistung, das Standardwerk zu einem berühmten Autor, den niemand liest? Jonas hatte sofort Gefallen gefunden an diesem resoluten Wort, das die Entschlossenheit einer geballten Faust hatte. Immer, wenn er es auf dem Stadtplan von Paris entdeckte, wunderte er sich, dass kein Ausrufezeichen dahinter stand: Oberkampf!

Auch wenn Jonas gerade vielen Zwängen aus seinem alten Leben entflohen ist: In Paris warten neue Kämpfe auf ihn.

Aus dem Gesprächsprojekt mit Stein wird ein zwischenmenschliches Desaster

Vor allem verstrickt er sich in sein wahnwitziges Biographie-Projekt um den verehrten, aber auch anstrengenden Richard Stein, den Hilmar Klute absolut großartig als klassischen Suhrkamp-Autor vom alten Schlag zeichnet. Als untergehende Art von männlichem Star-Schreiber - mit all seiner Faszinationskraft, aber auch mit all seinem selbstherrlichen und nervigen Gehabe.

Das ambitioniert begonnene Gesprächs-Projekt mit Stein entpuppt sich jedenfalls immer mehr als intellektuelles und zwischenmenschliches Desaster.

Jonas ist einen Tag in Paris, als die Anschläge auf Charlie Hebdo passieren

Aber noch mehr Kämpfe warten auf Jonas: Er verliebt sich in die junge Französin Christine - und er wird immer mehr hinein gezogen in die gesellschaftliche Realität einer Nation im Ausnahmezustand. Einen Tag nach seiner Ankunft ereignen sich die Anschläge auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo:

Sein Gefühl war eine Art sensationelle Niedergeschlagenheit, eine exklusive, fast genussvolle Empfindung, fernem Leid auf relativ erträgliche Weise beizuwohnen. Natürlich war es schrecklich, was hier passierte, in einer tristen Stichstraße in Paris, mitten in Europa, wie die Zeitungen schrieben, ja, mitten in Europa geschieht die Barbarei, als hätte es dergleichen zuvor nie gegeben.

Klute setzt den schweren Stoff mit Leichtigkeit und Humor um

Ist Jonas zu Beginn noch distanzierter Beobachter der „Barbarei“, so wird er im Laufe des Romans vor allem durch Christine mehr und mehr in die Geschehnisse involviert und erlebt an ihrer Seite eine etwas andere „Éducation sentimentale“, die ihn am Ende vom eher passiven zu einem starken und fast aggressiven Charakter wachsen lässt.

Der Schwere seines Stoffs begegnet Klute mit einer großen, eleganten Leichtigkeit - und mit viel Humor. Allein die Beschreibung der altmeisterlichen Schrullen des Starautors Richard Stein lohnt die Lektüre.

Autor Hilmar Klute (Foto: Pressestelle, (c)-Jan-Konitzki_mailbar)

„Oberkampf“ ist eine Erzählung von Macht und den Grenzen der Literatur

Klute ist ein unglaublich präziser Menschen-Beobachter, das hat er schon in seinem gefeierten Debüt „Was dann nachher so schön fliegt“ glänzend unter Beweis gestellt.

In „Oberkampf“ erzählt er beeindruckend von der Macht, aber auch von den Grenzen der Literatur, und er erzählt die Geschichte einer spektakulären Desillusionierung -  mit einem Knalleffekt-Ende, das einen lange nicht loslassen wird.

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